Viel Mühe und Klasse aber Tancredi zündet nicht in Bregenz

Xl_290724tancredi_bregenz_karl_forster © Karl Forster

Gioacchino Rossini Tancredi Bregenzer Festspiele 29.7.2024

Viel Mühe und Klasse aber Tancredi zündet nicht in Bregenz

Tancredi ist Gioacchino Rossinis erste opera seria - tragische Oper. 1813 im Geburtsjahr von Richard Wagner und Giuseppe Verdi wurde sie am Teatro la Fenice als dessen Auftragswerk uraufgeführt, das Libretto basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Voltaire. Es entstanden mehrere Versionen mit entweder glücklichem oder tragischem Ende. Nachdem das Werk längere Zeit in Vergessenheit geriet, erfreut es sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund seiner artistischen Arien als Bravourstücke steigernder Beliebtheit.

Die Bregenzer Festspiele haben sich als sogenannte Hausoper in der diesjährigen Saison für dieses Frühwerk des zwanzigjährigen Rossini entschieden. Regisseur Jan Philipp Gloger verlegt den Handlungsort Syrakus zur Zeit der Kreuzritter um 1000 nach Christi in die Jetztzeit ohne konkreten regionalen Bezug. Die verfeindeten edlen Bürgerfamilien Orbazzano und Argirio weichen zwei Drogenbanden und die eindringenden Sarazenen entsprechen in seiner verfremdenden Regie der Polizei als Obrigkeit. Wesentliche dramaturgische Elemente verlieren sich in dieser Umsetzung. Die Rolle des Titelhelden als geächteter und geflüchteter edler Bürger, der sowohl aus Liebe zu Amenaide aber auch um seine Anerkennung, Stand und Rückkehr kämpft, wird nur vage gezeichnet. Als Außenseiter schleicht er ganz in schwarz herum. Die edlen Bürger sind halbstarke Rotten, die sich ständig ungeschickt schlägern und wild mit Pistolen um sich hantieren und auch abdrücken. In der hektischen Überaktion stellt sich die Frage nach gewolltem Klamauk oder übertriebener Regie ohne Konzept. Im im Grundton geschmackvoll gestalteten Bühnenbild von Ben Baur, ein sich ständig drehender klassischer italienischer Pallazzo, kann sehr rasch der Handlungsort gewechselt werden - die wohl einzige Dynamik an diesem langgezogenem Abend.

Amenaide wehrt sich standhaft gegen ihre Vermählung mit dem ehemals verfeindeten Drogenboss Orbazzano. Ihr, in ihrer Ausweglosigkeit, an den heimlich geliebten Tancredi geschickten Brief verliert in Glogers Regie seine Bewandtnis. Dafür fügt er eine stumme Rolle eines Priesters ein, der der wegen Verrat und Untreue zum Tode Verurteilten Amenaide einen Trank ins Gefängnis bringt und nach seinem Besuch niedergeschossen wird. Auch LGBTQ nimmt in Bregenz Einzug. Aus der Hosenrolle des Tancredi wird eine Verkleidung einer mutigen Frau, aus der Romanze mit Amenaide so eine lesbische Verbindung für die Tancredi Anerkennung in der Gesellschaft erstreiten möchte, wenn er/sie die Geschlechtersymbole plakativ vor den Verfolgern aufhängt und dann erschossen wird.

In Bregenz hat man sich für das tragische Ende entschieden und dank der großartigen sängerischen und darstellerischen Fähigkeiten entwickelt sich ein dichtes und berührendes Finale. Anna Goryachova verinnerlicht die Kämpfe und Gemütszustände des Tancredi und mutiert zu einer verschlossenen tragischen Aussenseiterin, die sich als streitbarer Mann verkleidet. Ihr Mezzo besitzt eine beeindruckende vocale Ausdruckskraft. Ihre dunkle Färbung, vollmundigen Tiefen wie kräftigen klaren Höhen zeichnen ein überzeugendes Rollenprofil. Umfangreich sind ihre Auftritte aber sie zeigt keine Ermüdung. In ihrer Schlussszene kann sie nochmals mit einer ungemein gefühlvollen Abschiedsarie erfreuen. Ebenso ist Melissa Petit sehr präsent als Amenaide. Mit ihrem klaren hellen und sicheren Sopran deckt sie auch farbig ihre Darstellung ab. Die liebende und sorgende Verliebte, die empörte und streitbare Tochter, die sich mutig dem Todesurteil stellt wie auch die verzweifelte Gerettete, die von der Geliebten verstoßen wird. Antonino Siragusa ist ihr Vater Argirio. Mit seinem hellen sich in der Höhe verengenden Tenor passt er nicht wirklich in diese Rolle eines gesetzten wehrhaften Bürgers. Andreas Wolf ist dagegen ein stattlicher Orbazzano, der als wüster Haudegen auch gut den düpierten Ehemann markiert. Als Isaura erscheint Laura Polverelli mit sicherer Stimme ohne Strahlkraft farblos.

Yi Chen Lin steht am Pult der Wiener Symphoniker, dem Hausorchester der Bregenzer Festspiele. Ihre großen Gesten ragen gut sichtbar über den Orchestergraben heraus, scheinen aber dort wenig Wirkung zu haben. Ihrem Rossini fehlt Leben und Spannung. Die Vielfalt der Gefühle dieses reifen Frühwerks versinkt in einer monotonen Klangwelt, das Orchester wirkt verhalten unter Wert geschlagen.

Das Publikum bedankt sich mit großem Beifall bei allen Beteiligten. Das Ensemble feiert ausgelassen den letzten Applaus dieser Aufführungsserie.

Dr. Helmut Pitsch

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