4.Akademie Konzert Bayerisches Staatsorchester 8.3.2022
Vladimir Jurowski ruft und spielt eindrucksvoll zum Frieden auf.
Er findet den richtigen Ton, zeigt Gefühl und Entschlossenheit, die Klarheit seiner mutigen Worte ergreifen. Der Chefdirigent des Bayerischen Staatsorchester Vladimir Jurowski ist Russe, und spricht als Vertreter der Millionen Russen, die diesen brutalen Angriffskrieg ihres Anführers - er nennt ihn einen Wahnsinnigen- nicht gutheissen. Dafür gehen sie auf die Strasse und riskieren viel. Er fühlt mit dem Ukrainerischen Volk und dirigiert deren symphonische Nationalhymne wie einen stolzen Triumphmarsch.
Das Programm des vierten Akademiekonzertes hatte er vor Monaten ausgewählt. Nun erlangt dieses durch die kriegerischen Auseinandersetzung höchste Aktualität. Der Zufall hat seine Berechtigung.
Zum Andenken an seine Eltern lautet die Widmung der 1941 in New York uraufgeführten Sinfonia da Requiem op 20 von Benjamin Britten. Auftraggeber war aber die japanische Regierung zur 2600 jährigen Feier deren Kaiserdynastie. Die ineinander fließenden drei Sätze sind lateinisch überschrieben und lassen eine christliche Verankerung erkennen. Dazu ist die Grundstimmung des Werkes melancholisch schwermütig und wenig feierlich, sodass der Auftraggeber die Komposition des jungen Britten nicht abnahm, aber auch kein Geld zurück forderte. Die erwähnten Satzbezeichnungen Lacrymosa, Dies irae und Requiem aeternam erinnern an eine Totenmesse. Groß ist die Orchesterbesetzung aber es fehlen Gesangsstimmen und Chor. Die Tonsprache ist symphonisch farbenreich und rhythmisch. Jurowski verweist auf ein persönlich empfundenes Detail in seiner Rede. Im dritten Satz kann der Zuhörer klar in dem Motiv die frapante Ähnlichkeit zum deutschen Weihnachtslied "O Du fröhliche" heraushören, welches Britten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kannte. Das Requiem wird für den Dirigenten zu einem Friedenslied, liturgisch zu einem Donna nobis pacem.
Im zweiten Programmpunkt erlebt das Publikum einen freudigen philosophischen Britten. In seinem Liederzyklus Les illuminations für hohe Stimme und Streichorchester op 18 vertonte er Gedichte des Surealisten Arthur Rembaud in der Originalsprache. Bizarr sperrig aber farbig bildlich ist die Lyrik, die Britten in ein musikalisches Mix aus verschiedenen Stilmitteln steckt. Sabine Devieilhe meistert mit ihrem reinen klaren Sopran die Gesangspartie mit imponierender Lässigkeit. Ausgesprochen sicher intoniert sie die wie Bruchstücke wirkenden Rezitative die sich klanglich wohltuend zusammen fügen. Ihre Stimme hat keinen großen Corpus oder Timbre aber farblichen Charakter und Ausdruck. Souverän führt Vladimir Jurowski das auf die Streicher reduzierte Orchester und lässt die Musiker eins mit der Solistin werden. Ruhig ohne Gesten häit er Spannung. Zeigt jeden Einsatz und saugt förmlich den Klang aus den Musikern heraus.
In einer kurzfristig vorbereiteten Zugabe bringt er am Klavier mit der Solistin ein ergreifendes ukrainisches Volkslied zur Aufführung. Die Sopranistin erklärt in perfektem Deutsch den Text. Eine Tochter besingt die nicht erfolgte Wiederkehr des geliebten Vaters, der ja nur eine Woche weg sein wollte. Die täglichen Bilder in den Nachrichten kommen in den Sinn. Versteinert folgt das gebannte Publikum.
Nach der Pause dreht Jurowski mit Claude Debussy Pelleas et Melisande Konzertsuite symphonisch auf, ohne Getöse oder Wucht, sondern in brillianter Eleganz. Es wird verständlich wieso bedeutende Dirigenten diese Orchesterstücke der gleichnamigen Oper für die Konzertsäle haben wollten. Debussy schuf mit dieser seiner einzigen Oper ein bahnbrechendes impressionistisches Musikstück, aber auch die erste Literaturoper, wegweisend für das 20. Jahrhundert. Wieder filtert Jurowski viele Details heraus. Zumeist im Piano erzählt er die Geschichte der beiden Brüder, die in die gleiche Märchengestalt verliebt sind. Unselig ist der Ausgang, das tragische Ende steckt im gesamten Werk, ausgekleidet in elegischen Bildern die aufgebaut und weggewischt werden. Vladimir Jurowski führt den Stab wie einen Pinsel mit dem er immer wieder im Orchester neue Farben aufnimmt. Emotionen, Gefühle werden aufgezeigt, Naturstimmungen zum Leben erweckt. Die Musiker folgen präzise und sind bestens vorbereitet.
Taktgefühl und rhythmische Finesse ziegt das Orchester im finalen Werk, Maurice Ravel La Valse. Dieses Poeme choreographique hatte er für das Ballet Russe, die berühmte Tanzgruppe Dhiagelevs geschrieben. Es wurde aber als Ballettmusik nicht eingesetzt sondern zur Hommage an Johann Strauß. Dämonisch mystisch ist die Grundstimmung, Immer wieder wächst der Walzerrhythmus fragmenthaft aus dem Orchester heraus und wird mutwillig zerstört. Die Kriegseindrücle zerstörem die Idylle. Der Walzer strauchelt und wird von der Katastrophe förmlich überrollt. Effektgeladen ist dieses Werk im Mouvement de Valse viennoise, der anspruchsvoll immer im Takt zu hören ist. Der Orchesterklang bäumt sich auf und treibt unaufhörlich spürbar dem ekstatischen Ende zu. Der Abgesang ist markant, in wenigen Schlägen ist der Untergang verraucht. Orchester und ihr Dirigent haben in kurzer Zeit der Zusammenarbeit bestens zusammengefunden, wie dieser Abend eindrucksvoll zeigt.
Stehende Ovationen und Begeisterung im Saal.
Dr. Helmut Pitsch
09. März 2022 | Drucken
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