Geminiano Giacomelli, Cesare in Egitto Festwochen Alte Musik Innsbruck 9.8.2024
Un‘ altra aria di bravura! – Cesare in Egitto in Innsbruck
Als erste Opernproduktion der neuen Saison präsentieren die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik Geminiano Giacomellis selten gespielte Oper Cesare in Egitto: Von der schablonenhaften Inszenierung und hervorragenden musikalischen Darbietung eines vergessenen, eher gleichförmig-schematischen Werkes.
Zu Lebzeiten galt Geminiano Giacomelli (1692–1740) als ausgezeichneter Komponist, dessen Ruhm sich v.a. auf seine etwa 20 Opern begründete. Sie wurden in den 1720er und 30er Jahren von den besten Sängerinnen und Sängern der damaligen Zeit aufgeführt und prägten die Spielpläne vieler italienischer und internationaler Opernhäuser. Cesare in Egitto entstand 1735 zunächst für Mailand und wurde noch im selben Jahr für eine Aufführungsreihe in Venedig grundlegend überarbeitet. Bei der Neukonzeption des Librettos half dabei kein geringerer als der junge Carlo Goldoni – Cesare in Egitto zählt zu dessen frühesten Arbeiten. Goldoni und sein Mitarbeiter Domenico Lalli stützten sich auf ein Libretto aus dem Jahr 1676, das im Laufe der Jahre oft adaptiert und von vielen Komponisten vertont wurde, so etwa 1724 von Georg Friedrich Händel für London („Giulio Cesare in Egitto“).
Im Grunde handelt es sich um den gleichen Plot wie elf Jahre zuvor bei Händel: Nach seiner Niederlage gegen Julius Cäsar/Giulio Cesare im Römischen Bürgerkrieg flieht der Feldherr Pompeo nach Ägypten. Dort sucht er Schutz bei König Tolomeo und dessen Schwester, Königin Cleopatra. Um Cesare zu imponieren, lässt der nervöse Tolomeo aber Pompeo enthaupten und bietet dessen abgeschlagenen Kopf Cesare als „Willkommensgeschenk“ dar. Doch der Schuss geht nach hinten los: Cesare ist von dieser Brutalität entsetzt und sinnt auf Rache für Pompeo, wird aber von Cleopatra besänftigt und verliebt sich in sie. Dadurch gerät er wiederum dem ägyptischen General Achilla in die Quere, der Cleopatra zur Frau begehrt. Mit von der Partie sind außerdem noch Pompeos Witwe Cornelia, deren Trauer sich in einer aggressiven Wut auf Cesare und Tolomeo entlädt – beide möchte sie am liebsten tot sehen –, sowie Lepido, römischer Senator und Vertrauter Cornelias, der sich – in Cornelia verliebt – von ihr für ihre Rachepläne einspannen lässt. Aus dieser Melange aus Liebe, Hass, Trauer und Furcht entspinnt sich ein Intrigenspiel nach typischer Seria-Manier, begleitet von Schlachten auf der Bühne und dem (nur vermeintlichen) Tod Cesares in den Fluten des Meeres. Doch in den letzten, brisanten Szenen des dritten Aktes klärt sich alles auf – und erstaunlicherweise kommen alle Protagonisten mit dem Leben davon. Kein Wunder: Pompeos Sohn, der Knabe Sesto, der in Händels Fassung immerhin den Tyrannen Tolomeo ersticht, tritt nur als passive stumme Rolle in Erscheinung. (Die „hundert und aber hundert Opfer“ der Schlacht, deren Ermordung Achilla im Rezitativ stolz sich rühmt, sind indes nicht mehr als eine unbedeutende Randnotiz.) Das obligatorische lieto fine kommt rasch. Der Schluss-Coro aller Beteiligten – die einzige Ensemble-Nummer der Oper – ist kurz. Der Vorhang fällt schnell, nach immerhin drei Stunden Barockoper!
(c) Birgit Gufler / Festwochen Alte Musik Innsbruck
Angesichts der zeitlichen und inhaltlichen Nähe drängt sich der Vergleich mit Händels Cesare-Version direkt auf – zugegeben ein etwas unfairer Vergleich: Gilt doch heute Händels Giulio Cesare nicht nur als das Opern-Meisterwerk des Hallensers, sondern gar als Prototyp der barocken Heldenoper schlechthin. Giacomellis Cesare ist in einem ähnlichen Stil gehalten, dem des Neapolitanischen Dramma per musica, mit seinem typischen Wechsel von Secco-Rezitativen und insgesamt 26 DaCapo-Arien. (Anders als im Vorfeld der Festwochen angekündigt, wurde hier glücklicherweise nicht gekürzt!)
All diese Arien haben den nahezu gleichen Aufbau und Harmonieverlauf. 23 sind in Dur gehalten, nur drei in Moll. Es dominiert ein heiterer Grundton – auch in tragischen Situationen. Auf Duette – bei Händel intime Highlights, man denke nur an Cornelias und Sestos Son nata a lagrimar – verzichtet Giacomelli gänzlich. Die wenigen Accompagnato-Rezitative – die bei Händel emotionale Höhepunkte markieren – reserviert Giacomelli für Cornelia, als diese im dritten Akt den Geist ihres verstorbenen Gatten beschwört und kurz davor ist, den eigenen Sohn zu opfern. Cleopatras musikalisch-erotische Flirts mit Cesare fehlen bei Giacomelli ebenso wie die für Händels Opern typischen ironischen und komischen Szenen.
Auf all das könnte man entgegnen: „Sei’s drum! – Giacomelli setzt nun mal andere Schwerpunkte!“ Doch wie klingt’s? Giacomellis Arien stellen fast durchweg höchste Ansprüche an die Sängerinnen und Sänger. Eine Koloratur-Arie jagt die nächste. Und doch: Hängen bleibt davon leider wenig. Die Arien verfügen nicht über die Ohrwurm-Qualitäten eines Händel oder Vivaldi, zumal sie fast alle mit dem gleichen Streichertutti instrumentiert sind. Auf obligat geführte, konzertierende Soloinstrumente wartet man leider vergebens. All das verleiht der Oper einen recht formelhaften Anstrich.
(c) Birgit Gufler / Festwochen Alte Musik Innsbruck
Doch all das hält die Musikerinnen und Musiker in Innsbruck nicht davon ab, eine hervorragende Performance abzuliefern! Die Rollen sind exzellent besetzt. Als Cesare überzeugt die Sopranistin Arianna Vendittelli sowohl darstellerisch in ihrer Hosenrolle, als auch gesanglich. Ihre Stimme klingt markant und durchsetzungsstark, ist aber gleichzeitig flexibel. Als Cleopatra steht ihr die ungarische Sängerin Emőke Baráth zur Seite. Ihre weichere Stimme bringt sie beim Messa di voce auf langen Tönen wunderbar zur Geltung, aber auch ihre Koloraturen sitzen perfekt. Ein Glanzstück ist die Allegro-Schlussarie des ersten Aktes Chiudo in petto, deren endlos erscheinende Koloraturen sie bravourös meistert. Im Schauspiel zeigt sie sich dagegen zunächst eher distanziert, legt aber in der zweiten Abendhälfte mehr emotionalen Ausdruck in ihr Spiel.
Die Rolle ihres Bruders Tolomeo übernimmt der Tenor Valerio Contaldo. Die äußerst verschiedenen technischen Anforderungen seiner Partie bewältigt er mühelos: Seien es die unsanglichen Intervallsprünge in der Arie Se il sangue mio tu brami, die er lyrisch zu durchqueren weiß, oder die weit ausgreifenden Koloraturen in der Schlussarie des zweiten Aktes Scende rapido spumante, die stets klar verständlich sind. Besonders hervorzuheben: Da die Regie die Aktgrenzen des Werkes ignoriert, bleibt Contaldo nach dieser anspruchsvollen Arie kaum Zeit zum Ausruhen, bevor er die nächste Arie Taci, non v’è più speme zu singen hat – ganz ohne Ermüdungserscheinungen.
Margherita Maria Sala durchlebt ihre Rolle als trauernde und zugleich rasende Cornelia schauspielerisch sehr ambitioniert. Ihre Partie weist weit weniger Koloraturen auf und bietet dagegen andere kompositorische Attraktionen. So versteht sie es etwa, in der von Fermaten und Generalpausen durchsetzten Arie Oppressa, tradita ihre innerliche Ratlosigkeit eindrucksvoll nach außen zu kehren.
Ihr Vertrauter Lepido wird dargestellt von Federico Fiorio. Sein Sopran-Counter klingt wundervoll klar und strahlt eine Unschuld aus, die sehr gut zur Rolle passt. Dabei beweist er gleichermaßen eine außerordentliche stimmliche Virtuosität wie auch musikalischen Einfallsreichtum, etwa wenn er die recht schematischen Koloraturen in der Arie Vibrano i Dei talora nicht nur perfekt singt, sondern sie beim DaCapo auch noch durch musikalisch viel sinnvollere, improvisierte Koloraturen ersetzt. Der zweite Countertenor des Abends ist Filippo Mineccia in der Rolle des Achilla. Seine Tessitur liegt deutlich tiefer und er singt nicht so schwerelos wie Fiorio. Achilla erscheint dadurch bedrohlicher und kompromissloser. Besonders in der Höhe klingt sein Counter sehr kraftvoll, während er in den tieferen Phrasen vereinzelt vom Orchester überdeckt wird.
(c) Birgit Gufler / Festwochen Alte Musik Innsbruck
Von diesen wenigen Phrasen abgesehen spielt das Orchester Accademia Bizantina – in diesem Jahr „Orchester in Residence“ bei den Festwochen – ganz ausgezeichnet. Alles wirkt wie aus einem Guss. In den Geigen sind all die teils sehr anspruchsvollen, virtuosen Passagen in den Arien-Ritornellen stets transparent und gleichzeitig perfekt zusammen. Die meist colla parte mitspielenden Oboen und das Fagott verschmelzen gänzlich mit den restlichen Streichern. Lediglich die Hörner übersteuern vereinzelt. Angeleitet wird das Orchester von Ottavio Dantone, dem neuen Musikalischen Leiter der Innsbrucker Festwochen, der – am Cembalo sitzend – alle dirigentischen Fäden fest in der Hand hat. Da sitzen alle Übergänge und es klappert keine einzige Solokadenz.
Sehr blass erscheint dagegen die Inszenierung (Leo Muscato). Als gleichbleibendes Bühnenbild (Andrea Belli) dienen im Mittelgrund ruinenhafte, von Hieroglyphen übersäte Mauerreste. Sie deuten die Räume eines Palastes an und rotieren mittels Drehbühne die Oper hindurch mal dahin, mal dorthin. Dahinter – manchmal auch davor – befinden sich vier große, rote Kriegerstatuen, deren riesige Rüstungen (rote Schilde und an das antike Griechenland gemahnende Helme) über Gerüste drapiert sind. In diesem über drei Stunden hinweg eher monotonen Setting bewegen sich die Protagonisten mit schablonenhaftem Spiel. Individuell zugewiesene Gesten wie etwa das ständige Salutieren Achillas oder das unentwegte Nacken-Abtupfen des offenbar nervös schwitzenden Tolomeo nutzen sich leider sehr schnell ab. Das andauernde Zücken und wieder Wegstecken von Pistolen wirkt auch nicht mehr bedrohlich – längst weiß man, dass nichts schlimmes passieren und niemandem der Finger am Abzug abrutschen wird. Jegliche Aktionen finden überdies in den Rezitativen und Arien-Ritornellen statt. Während des Arien-Gesanges steht die Handlung dagegen still. Dieses recht statische Regiekonzept kommt zwar beim Publikum vereinzelt gut an (O-Töne: „Die Regie stört mich nicht.“ – „Ich mag konzertante Aufführungen.“), ermüdet aber zusehends. So werden die DaCapo-Arien zum inszenatorischen Problem. Eine zeitliche Verortung der Handlung fällt auch schwer: Die schlichten weißen Uniformen der Ägypter mit den zahlreichen militärischen Orden und die blaue Fese verweisen auf das frühe 20. Jahrhundert. Die roten Kampfuniformen der Römer mit Ellbogen- und Knieschonern, Sonnenbrillen und Maschinengewehren bewegen sich dagegen irgendwo zwischen Paintball und Cyberpunk (Kostüme: Giovanna Fiorentini).
Das Publikum scheint sich aber eher auf die musikalischen Aspekte zu fokussieren. Jede Arie wird mit wohlwollendem Applaus bedacht, und am Ende gibt es ausgiebigen Beifall für alle Beteiligten. Und das auch völlig zu Recht – denn die musikalische Darbietung war ausgezeichnet. Doch ob sich Giacomellis Cesare in Egitto dauerhaft im Kanon der Alte-Musik-Festivals (von den klassischen Opernhäusern ist hier absichtlich nicht die Rede) etablieren wird, bleibt abzuwarten.
Stefan Fuchs
Festwochen Alte Musik Innsbruck 9.8.2024
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