Wozzeck
Alban Berg
Deutsche Oper Berlin
5. Oktober 2018 (Premiere)
Denkt man an die Figur des Wozzecks, auch wie sie im Drama von Georg Büchner gezeichnet wird, erweckt sie eigentlich Mitleid. Seine Versuche, etwas aus seinem kleinen Leben zu machen, sich mit den gesellschaftlichen Hierarchien zu arrangieren, Glück zu suchen erwecken in uns Mitgefühl.
Nicht so in dieser Inszenierung von Ole Anders Tandberg. Selbstbewusst, ohne jeglicher Emotion, blickt uns das auf den Vorhang projezierte, schwarz-weisse Konterfei von Wozzeck immer wieder an. Bei jedem Szenenwechsel werden wir damit konfrontiert. 15 Mal. Nur durch ein gelegentliches Blinzeln stellen wir fest, dass er am Leben ist. Und das charakterisiert die Inszenierung: Emotionen werden gespielt aber nicht gespührt. Ja, es wird sogar gemordet. Nur in der letzten Szene, wenn Wozzeck und Marie tot am Tisch liegen und der Sohn alleine am anderen Ende des Saales an seinem Tisch sitzt, geht ein gemeinsames leichtes Raunen durch das Publikum – dieses Schicksal wünscht man keinem Kind.
Tandberg versetzt die Aktion in sein Heimatland Norwegen.Bühnenbildner Erlend Birkeland baut ein reales Café in Oslo nach und dieses dient als Einheitsbild für das gesamte Werk. Gleich zu Beginn lässt Tandberg uns wissen, dass er es mit den Regieanweisungen des Komponisten nicht ernst meinen wird: Wozzeck rasiert nicht den Bart des Hauptmanns sondern verrichtet ein primitives “Brazilian Waxing” im Genitalbereich von sechs aufgereihten jugendlichen Kadetten mit heruntergelassenen Hosen.
Ansonsten – wir sind im gutbürgerlichen Milieu – ist nirgends ein Hinweis auf Not. Auch Wozzeck und Marie gehören dazu, das sieht man an den Kostümen von Maria Gerber. Soger der Sohn trägt Anzug und isst Kuchen. Die fein ausgearbeiteten, traditionellen Trachten fallen durch ihre liebevollen Details auf. Nichts erinnert an die ursprünglichen Büchner’schen finanziellen Verzweifelungen. Ganz zu schweigen von irgendwelchen Emotionen zwischen den beiden Protagonisten oder gegenüber ihrem gemeinsamen Kind.
Mal abgesehen von der Regie, gehört der Abend der Musik und den Sängern. Allen voran dem dänischen Bassbariton Johan Reuter als Wozzeck, der wohl- und vollstimmig singt, wenngleich er von Wahnvorstellungen noch weit entfernt ist. Elena Zhidkova’s Marie ist da schon facetttenreicher und weiss was sie will. Den eitlenTambourmajor (stimmlich und darstellerich überzeugend Tenor Thomas Blondelle) und den bezirzt sie gekonnt mit durchdringendem Sopran. Die Nebenrollen sind stark besetzt mit Bariton Seth Carico als wendiger Arzt, der sich auch mal den eigenen Finger im Name der Wissenschaft abschneidet. Der Tenor von Matthew Newlin als Andres kann sich sogar selber auf der Gitarre begleiten. Etwas skuril bringt Tenor Burkhard Ullrich den ordenbedeckten Hauptmann, singt noch hoch zu Ross. Wunderbar Anika Schlicht als Bedienung Margret, die mit ihren wenigen Sätzen volle Bühnenpräsenz zeigt. Der Narr wird von Tenor Andrew Dickinson witzig und gekonnt in Perücke und Nationaltracht dargestellt.
Wenig von den dramatischen Emotionen in der Musik von Alban Berg, die 1925 uraufgeführt wurde. Sie gilt als erste atonale Oper und doch kommen so viele deutliche Hinweise auf das menschliche Gemü auf der Bühne an. Da kann sich das exzellent spielende Orchester der Deutschen Oper unter ihrem Chefdirigenten Donald Runnicles noch so bemühen mit Präzision und Farbigkeit die Partitur auszulegen. Zwei Parallelwelten: im Graben transparent und präzise, auf der Bühne kühl und bürgerlich.
Dennoch war sich das Publikum bei der Premiere einig: anhaltenden Applaus für alle Beteiligten.
09. Oktober 2018 | Drucken
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