Oper in Wien: Neue Saison 22/23 an der Staatsoper, dem Theater an der Wien und der Volksoper
Ging es in der ersten Spielzeit der aktuellen Staatsoperndirektion um die szenische wie musikalische Erneuerung des Kernrepertoires und in der aktuellen Saison um Premieren revolutionärer Werke, die Meilensteine der Musikgeschichte bildeten, so steht 2022/23 Gustav Mahler im Mittelpunkt: Mahlers Dienstantritt als Direktor des Hauses jährt sich im Herbst 2022 zum 125. Mal – alle Neuproduktionen der kommenden Saison haben ihre ganz eigene Verbindung zu Mahler; manche auf sehr direktem Weg, andere über interessante Umwege.
Den Auftakt des Premierenreigens macht ein besonders spannendes Projekt, eine szenische Umsetzung von Mahlers Klagendem Lied und seinen Kindertotenliedern: Von der Liebe Tod. Regie führt Calixto Bieito, Florian Boesch gibt sein Hausdebüt an der Wiener Staatsoper, ebenso wie Dirigent Lorenzo Viotti. Es folgen fünf weitere Opernpremieren: Die Meistersinger von Nürnberg mit mit Michael Volle, David Butt Philip, Hanna-Elisabeth Müller, Wolfgang Koch und Georg Zeppenfeld. Musikdirektor Philippe Jordan steht am Pult, Regie führt Altmeister Keith Warner. Ebenfalls musikalisch von Philippe Jordan geleitet wird die Neuproduktion von Salome in einer Inszenierung von Cyril Teste, der – wie Keith Warner – zum ersten Mal an der Wiener Staatsoper arbeitet. Die Titelpartie singt Malin Byström. Mit Le nozze di Figaro findet der Mozart-Da Ponte-Zyklus seine Fortsetzung. Philippe Jordan und Barrie Kosky erarbeiten auch diese Produktion gemeinsam mit einem jungen Mozart-Ensemble. Ein Wiedersehen mit dem Concentus Musicus unter Pablo Heras-Casado sowie mit Georg Nigl, Kate Lindsey und Josh Lovell gibt es mit Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria. Es inszenieren Jossi Wieler und Sergio Morabito. Den Abschluss der Neuproduktionen bildet ein selten gespieltes, sehr bedeutendes Werk des 20. Jahrhunderts von Francis Poulenc: Dialogues des Carmélites. Bertrand de Billy dirigiert, Regie führt – das erste Mal an der Wiener Staatsoper – die österreichische Regisseurin Magdalena Fuchsberger.
Abseits unserer Neuproduktionen gibt es weitere musikalische Höhepunkte:
Elina Garanca gibt in der Aida-Wiederaufnahme ihr mit Spannung erwartetes internationales Rollendebüt als Amneris. Weiters ist sie an der Seite von Piotr Beczala mit Carmen in einer ihrer Paraderollen zu erleben. Beczala singt neben dem Don José erneut den Cavaradossi in Tosca sowie den Lohengrin. Der kürzlich zum Kammersänger ernannte Jonas Kaufmann kommt für zwei Wiederaufnahmen zurück an die Wiener Staatsoper: In der Titelpartie von Andrea Chénier sowie als Radames in der Aida-Vorstellungsserie mit Elina Garanca.
Asmik Grigorian singt erstmals im Haus am Ring die Titelpartie in der Jenufa-Wiederaufnahme und in Cavalleria rusticana / Pagliacci die Santuzza bzw. die Nedda. Nina Stemme kehrt als Elektra, Isolde und Ortrud in Lohengrin zurück an die Wiener Staatsoper, Krassimira Stoyanova als Tosca (die sie hier erstmals verkörpert) sowie als Marschallin im Rosenkavalier, Camilla Nylund als Ariadne, Tosca sowie Elsa in Lohengrin. Ein Wiedersehen gibt es mit Roberto Alagna, der den Eléazar in der Wiederaufnahme von La Juive singen wird, mit Benjamin Bernheim (als Rigoletto-Herzog und Rodolfo in La bohème), Juan Diego Flórez (als Tonio in La Fille du régiment sowie erstmals als Sänger im Rosenkavalier), mit Sonya Yoncheva, die mit der Cio-Cio-San (Madama Butterfly) und Rachel (La Juive) hier gleich zwei persönliche Rollendebüts geben wird. Freuen kann man sich weiters auf Auftritte von Günther Groissböck, Anja Kampe, Tomasz Konieczny, Erwin Schrott, Ludovic Tézier und Bryn Terfel, um hier nur einige zu nennen.
Unter einer neuen Intendanz und einem neuen Namen startet das MusikTheater an der Wien in die Saison 22/23. Starregisseur Stefan Herheim übernimmt von Langzeitintendanten Roland Geyer die Leitung und stellt mit 13 szenischen Musiktheaterproduktionen, neun konzertanten Opern und einer neuen Late Night Serie ein umfangreiches Programm von 140 Veranstaltungen vor, mit hochkarätigen Solisten, vom Frühbarock bis heute, darunter zwei österreichische und eine Wiener Erstaufführung. Da das historische Theater bereits seit März 22 umfassend generalsaniert wird, werden die großen Neuproduktionen im Wiener Museumsquartier, die kleineren wie gewohnt in der Wiener Kammeroper stattfinden.
Eröffnet wird mit Leoš Janáčeks Das schlaue Füchslein, inszeniert von Herheim selbst, der damit sein Regie-Debüt am Haus gibt. Mélissa Petit gibt das Schlaue Füchslein, Jana Kurucová den Fuchs. Es musizieren die Wiener Symphoniker mit dem Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung der Dirigentin GiedrėŠlekytė. Ein Jahrhundert davor war ganz Wien im Rossini-Fieber. Sein Opernmelodram La gazza ladra (Die diebische Elster) führt den europaweit erfolgreichen Regisseur Tobias Kratzer erstmals nach Wien. Die musikalische Leitung hat Antonino Fogliani. Es musiziert das ORF Radio-Symphonieorchester. Es singen Nino Machaidze, Maxim Mironov und Paolo Bordogna. Mit Jacques Offenbachs La Périchole steht erstmals wieder eine Operette auf dem Spielplan des einstigen Operettenhauses. Anna Lucia Richter singt die Titelrolle, Regisseur Nikolaus Habjan lässt im wahrsten Sinne des Wortes seine Puppen tanzen. Es musiziert das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Jordan de Souza.
Georg Friedrich Händels biblisches Oratorium Belsazar ist ein noch viel zu selten aufgeführtes Werk, das von der österreichischen Lautenistin und Barockharfenistin Christina Pluhar und dem von ihr gegründeten und geleiteten Ensemble L'Arpeggiata interpretiert wird. Die Inszenierung übernimmt die französische Regisseurin Marie-Eve Signeyrole. Shootingstar Jeanine De Bique singt erstmals Händel in Wien. Eine Koproduktion mit dem Teatro Real Madrid feiert am ihre Wiener Premiere: Carl Maria von Webers romantisches Musikdrama Der Freischütz in einer Inszenierung von David Marton, besetzt mit Alex Esposito als Kaspar, Jacquelyn Wagner als Agathe und Sofia Fomina als Ännchen. Es spielen die Wiener Symphoniker. Eine österreichische Erstaufführung ist Der Idiot, die letzte Oper des polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg, nach dem gleichnamigen Roman Dostojewskis in einer Inszenierung von Vasily Barkhatov. Michael Boder leitet das ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Alban Bergs Lulu ist das gemeinsame Musiktheaterprojekt der Wiener Festwochen 2023 mit dem Theater an der Wien und wird von der kapverdischen Choreographin Marlene Monteiro Freitas inszeniert. Hochkarätig besetzt mit Vera-Lotte Boecker als Lulu, Bo Skovhus in der Rolle des Dr. Schön und Anne Sofie von Otter als Gräfin Geschwitz. Maxime Pascal leitet das ORF Radio-Symphonieorchester Wien.
In der Kammeroper kann man Francesca Caccinis erste Oper La liberazione, L’arbore di Diana (Der Baum der Diana) auf einem Libretto von Lorenzo Da Ponte basierend von Vicente Martín y Soler, Der goldene Drache von Peter Eötvös sowie das letzte Bühnenwerk von Erich Wolfgang Korngold Die stumme Serenade erleben.
Neue Künstler:innen, neue Werke, aber auch Geliebtes und Vertrautes: die neue Intendantin der Wiener Volksoper Lotte de Beer baut gemeinsam mit ihrem Musikdirektor Omer Meir Wellber in ihrer ersten Saison an der Volksoper Wien Brücken zwischen Bekanntem und Unbekanntem, Tradition und Erneuerung, Nostalgie und Utopie.
Acht Premieren stehen auf dem Spielplan der Saison 2022/23: Der ersten abendfüllenden Operette der Musikgeschichte Orpheus in der Unterwelt (Regie: Spymonkey) stehen Die letzte Verschwörung, eine Operetten-Uraufführung über Verschwörungstheorien aus der Feder Moritz Eggerts und die wienerisch–berlinerische Operette Die Dubarry von Carl Millöcker mit Annette Dasch und Harald Schmidt gegenüber. Mit Otto Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor ist die deutsche Spieloper in einer humoristisch-feministischen Sicht von Nina Spijkers vertreten, während Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail von dem türkischen Regisseur Nurkan Erpulat inszeniert wird. Die Dreigroschenoper von Kurt Weill und Bertolt Brecht mit Sona MacDonald als Macheath ist erstmals an Haus zu sehen, Peter I. Tschaikowskis Oper und sein Ballett werden in Jolanthe und der Nussknacker zu einer poetischen Familienvorstellung verwoben.
Dr. Helmut Christian Mayer
01. Mai 2022 | Drucken
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