Oper Dortmund
Premiere am 9. Mai 2024
Zuerst bricht die Baumkrone bei noch geschlossenem Vorhang. Die tragische Tat ist getan, die Natur geschändet. Die Personen der Handlung sind da noch in ihrem Ur-Zustand mit ihrer unbelasteten DNA und in den Pelzen der Steinzeit zu erleben. Alberich angelt verspielt im Rhein mit seinen in den Orchestergraben baumelden nackten Beinen. Wotan kommt verschlafen aus dem Höhlenzelt und kratzt sich mit einem Knochen am Rücken.
Fasolt erscheint mit einem Blumensträußchen, schock-verliebt in Freia. Er und sein Bruder haben Freia als Lohn von Wotan versprochen bekommen, obwohl Wotan wusste, dass nur Freia den Göttern ewige Jugend garantiert, Fasolt ist der einzige, der unschuldig bleibt und sich wohl lauter kleine Fasolts und Freias als Kinder wünscht, mit denen er dann unverändert naiv und unberührt weiter spielen kann. Aber wenig später liegt er von seinem Bruder Fafner erschlagen im Kreis der Götter. Das erste Opfer des Rings und Alberichs Fluch.
Was ist geschehen? Der zunächst leutselige, aber hässliche Alberich wird von den Rheintöchtern derart gedemütigt und wegen seiner Zuneigung ihnen gegenüber verlacht, dass er schließlich bereit ist, das Unmögliche zu tun: die Liebe zu verfluchen und mit diesem Zauber das von ihm geraubte Rheingold zu einem die Welt regierenden Ring zu schmieden.
Man sieht ihn in Nibelheim – einer Geschäftsstadt aus den Wolkenkratzern New Yorks, Singapurs und Tokyos zusammen errichtet – das Heer der Nibelungen – als Archetypen der modernen Angestelltenwelt – per tablet regieren und weiteren Reichtum und Machtinstrumente anhäufen. Diese Machtinstrumente sind für den Regisseur Peter Konwitschny und Jens Kilian (Bühne und Kostüme) sowie der Lichtregie von Florian Franzen ganz eindeutig in großen Mengen produzierte Atomsprengköpfe zur angedrohten (oder realen -?) Massenvernichtung.
Wotan – der sonst so intellektuell wirkende Meistergott – hat von Anfang an nur begrenzte Mittel. Er versucht es zwischen seiner machtbewussten Frau Fricka, und seinem menschlichen Bedürfnis nach Liebe und Jugend mit mittel-intelligenten Tricksereien. Diese – so ahnt er von Beginn an – werden nicht erfolgreich sein. Zwar kann er – aber nur zusammen mit dem Außenseiter Loge – Alberich den Hort der Macht entreißen, aber Alberichs Fluch wird Wotans – und der anderen Götter – Schicksal besiedeln.
Beim Einzug auf seine als Machtzentrale gedachte Burg Walhall sieht man die Götter in gutbürgerlicher Sommergarderobe und Rollstühlen dahinsiechen – wie in einem deutschen Seniorenwohnsitz im Hier und Jetzt, betreut von den Rheintöchtern. Diese entrollen zu ihrer letzten gesungenen Textzeile ein Spruchband in Regenbogenfarben: „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut“.
Wotan grüßt sein vermeintliches Machtzentrum pathetisch – ein neuer trickreicher Gedanke soll ihn und seine Sippe retten. Einstweilen verbleiben sie in physischem und psychischem Verfall. Der Wille zur Macht aber hat nicht nachgelassen. Wie eine unfreiwillige Identifikationsfigur für überkommene Egos in heutiger Zeit.
Auf diese korrumpierten Göttern ist jedenfalls nicht zu hoffen für die Zukunft einer Gesellschaft. Wer weiß, wie das wird? Nachfolgende Generationen müssen selbst an einer besseren Zukunft arbeiten.
Ob da Hoffnung ist? Die DNA der Menschheit scheint schon komplett vermessen: von den Ur-Instinkten der Steinzeit über den Hoch- und Spätkapitalismus bis in das Siechtum des Alters – eine Veränderung in Einsicht und Haltung ist nicht zu erkennen. Immerhin ist der Humor bei der Betrachtung nicht verloren gegangen.
So stringent, folgerichtig, humoristisch-pessimistisch kam Das Rheingold noch nicht daher.
Peter Konwitschny arbeitet bei den vier Abenden des Rings in Dortmund mit jeweils unterschiedlichen Bühnen- und Kostümbildnern, um eine aus seiner Sicht falsch empfundenen Chronologie gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Der gesanglich und darstellerisch überzeugend ausgespielte Wotan von Tommi Hakala wird von seiner Frau Fricka - Ursula Hesse von den Steinen – virtuos kontrolliert und im Zaum gehalten.
Der Loge Matthias Wohlbrecht überzeugt durch die Einheit von Stimme, Spiel und ganzem Körpereinsatz in der Rolle des nur-fast göttlichen Partners von Wotan. Der Alberich Joachim Goltz vermag düstere Ausstrahlung, Verzweiflung und Wut stimmlich fokussiert zu bündeln und der Mime von Fritz Steinbacher ist gewissermaßen der erste, verzweifelte, gezwungen-willfährige Angestellte von Alberich.
Die Freia von Irina Simmes vertritt auch stimmlich die Jugendlichkeit, nach der sich alle sehnen. Sie kann die Liebe von Fasolt erfühlen.
Die dunkel-schimmernde Erda von Melissa Zgouridi zieht wie eine entwurzelte Ur-Mutter durch den entmenschten Kosmos und will den aus dieser Situation heimatlos gewordenen Kindern ein Heim und eine Zukunft begründen.
Fasolt und Fafner von Denis Velev und Artyom Wasnetsov bilden das ungleiche Bruderpaar mit schön geformten, weil verliebten Bariton des Fasolt und dem tiefen und brodelnden Ausdruck des schwarzen Basses von Fafner.
Woglinde, Wellgunde und Flosshilde sind Sooyeon Lee, Tanja Kuhn und Marlene Gaßner als harmonisch und stimmlich gut abgestuftes Rheintöchter-Trio.
Die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung des Generalmusikdirektors Gabriel Feltz durchleuchten die Partitur tendenziell aus frühromantischer Sicht. Alle Überwältigungsdynamiken in Lautstärke und zugespitzter Dynamik werden vermieden. Das Erzähltempo des musikalischen Flusses ist eher gemäßigt, die Sänger werden mit Bedacht unterstützt. Gleichzeitig werden viele Details der musikalischen Struktur liebevoll hörbar gemacht.
Viel Beifall und bravi für alle Beteiligten. Eine nicht zu überhörende, kleine Protestfraktion macht sich anfangs hörbar Luft.
Achim Dombrowski
Copyright: Thomas M. Jauk
13. Mai 2024 | Drucken
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