Staatsoper Unter den Linden Berlin
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Dichtung von Lorenzo da Ponte
Online Premiere 1. April 2021
Wie bei Wagners Ring wird Mozarts Le Nozze di Figaro Unter den Linden in Berlin als Nummer 2 einer neuen Mozart-da-Ponte-Trilogie präsentiert. Das am Vorabend der Französischen Revolution 1786 in Wien uraufgeführte Werk ist indessen zeitlich das erste der vollkommen unabhängig entstandenen drei Opern der beiden kongenialen Partner.
In der auf dem Schauspiel Beaumarchais beruhenden Handlung erlebt man den Kampf des Dienerpaares - Susanna und Figaro - um die Erlaubnis des Grafen für ihre Hochzeit. Dieser verweigert seine Zustimmung immer wieder in der Hoffnung, selbst Susanna zuvor noch zu erobern. Wesentlicher Motor der Dynamik ist dabei die Komplizenschaft Susannas mit der Gräfin, will diese doch die Untreue ihres Mannes – des Grafen – durch eine fingierte Einladung Susannas und Kleidertausch mit ihr beweisen, ihn entlarven und bloßstellen. Die Frauen wachsen dabei eng zusammen. Die Verkleidungsintrige gelingt. Der Graf zeigt sich einstweilen reuig. Aber gewinnt die Gräfin die alte Liebe zurück?
Schauspiel wie Oper wurden z Z der Entstehung dramaturgisch so geformt, dass sie die Zensur passieren konnten, zumindest zeitweise. Die Konnotationen des Aufbegehrens gegen das alte Regime wurden jedoch von allen Betrachtern in Europa wohl verstanden. Wenn nun alle angestrebten Freiheiten, um die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so gerungen wurde, existieren, was kann uns Mozarts und da Pontes Meisterwerk neben einem historischen Rückblick heute vermitteln?
Der Regisseur Vincent Huguet unternimmt den Versuch, den Kosmos menschlicher Begegnungen, Begierden, Betrug, Verletzungen, Abhängigkeiten, sowie die sich daraus ergebenden Gefühle von Verlust, Melancholie und gar ein wenig Hoffnung zu zeigen, die ganz offenbar in diesen Opern thematisiert werden und mit oder trotz aller Freiheiten unverändert Aktualität besitzen.
Cosi fan tutte mit dem Untertitel Schule der Liebenden spielt demnach um 1968, dieser Figaro in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts und Don Giovannietwa zur Jetztzeit. Die Trilogie soll die Entwicklung der Freiheiten und die menschliche Verstrickung darin fortzeichnen.
So erklärt sich im Figaro die Ausstattung der Bühne im Bild von Aurélie Maestre und den Kostümen von Clémence Pernoud in der Manier und Geste etwa der Almodóvar-Filme, in welchen die gesellschaftliche und sexuelle Revolution der 60er Jahre nunmehr in einem farblich und stilistisch unverkennbar den 80er Jahren zuzuordnenden, neuen, berechnenden Bürgertum angekommen ist. Ohne diese Hintergrundinformation der Beiträge aus dem Programmbuch vermittelt sich diese Perspektive allerdings nicht unmittelbar.
Doch die Idee trägt. Das Konzept wird durchgehend mit sublimer Personenführung und unvergleichlichen jungen Sängerdarstellern ganz wunderbar entwickelt. Es gibt zeitgeistige Action der Freizeitgesellschaft, aber sehr plötzlich und unerwartet lauern Untiefen von Gewalt, Melancholie, Einsamkeit, und der unvermeidliche Schmerz aus dem Kreislauf von Begierde und Zorn und der Sehnsucht nach verlorener Liebe und Zuwendung.
Das außerordentlich junge Kernensemble der Sängerdarsteller besticht durchwegs durch traumhafte Souveränität und stupende gesangliche Leistungen.
Die Arie der Gräfin zu Beginn des II. Aktes porgi amor wird von Elsa Dreisig im verkitschten Kostüm mit melancholischer Pose eines selbstbezogenen Leidens vor dem Vorhang gesungen. Wie sich im III. Alt offenbart wird die Gräfin in dieser Inszenierung als erfolgreich vermarktete Schlagersängerin skizziert. Ihr Graf agiert auch als ihr Agent - ein wirtschaftlicher Deal des Paares, bei dem ursprünglich wohl auch die Hoffnung auf Liebe und Zuneigung zur Kalkulation gehörte. Die Dreißig versteht es, darstellerisch und gesanglich eine atemberaubende Gratwanderung zwischen Kitsch und Melancholie, Selbstmitleid und Leid zu meistern.
Gyula Orendt steht ihr bei der Charakterisierung des Grafen nicht nach. In jähzornigen, unkontrollierten Zornausbrüchen nimmt er wiederholt die selbst bewirkte Zerstörung der menschlichen Beziehung durch seine Getriebenheit unmittelbar wahr. Gleichwohl kann er seinem Tun nicht entkommen. Einmal, im Fandango-Finale des III. Aktes kommt es plötzlich zu einer hoffnungsvoll anmutigen Zuwendung des Paares. Welcher Art bleibt unklar, so kurz bleibt der Versuch der Wiederbegegnung.
Der IV. Akt spielt in einem Sommernachtstraum der 80er Jahre. Die Susanna der Nadine Sierra agiert als vom Leben geprägte, realistische Meisterin der Verführung und Verstellung. Ihr Spiel und die eigene Verlorenheit darin bleiben gleichwohl (auch für sie selbst -?) undurchschaubar. Nur die Achse zur anderen Frau und Freundin, der Gräfin, hat Bestand. Riccardo Fassi gibt einen Figaro, der mit (noch-?) kindlicher Unschuld seine Susanna im Kleidertausch mit der Gräfin im IV. Akt erkennt und sich vor ungestümer Freude und Erlösung von der Sorge um ihre Treue kaum halten kann. Jungenhaft reagiert er auf die Finessen der Frauen, immerhin quick genug, um gemeinsam in der bedrohlichen Auseinandersetzung mit dem Grafen im II. Akt zu bestehen.
Der Cherubino Emily D’Angelo lässt im intensiven Spiel mitunter queere Elemente mit aufscheinen und stellt eine ausgezeichnete Ergänzung des jungen Ensembles dar. Katharina Kammerloher, Maurizio Muraro und Stephan Rügamer dürfen in den knalligen Farben des Zeitdesigns ihrem Affen Zucker geben, wenn es sein muss, auch mit Lockenwicklern. David Oštrek gibt einen überzeugenden Gärtner, seine Tochter Barbarina wird sehr schön von Liubov Medvedeva verkörpert.Siegfried Jerusalem erscheint als Don Curzio.
Die Irrungen werden weiter gehen. Wie wird der Graf aus den Turbulenzen als Don Giovanni hervorgehen? Auf die weitere Umsetzung der Trilogie darf man also unbedingt gespannt sein. Angesichts der sichtbar gewordenen, tiefen Verletzungen muss der Zuschauer sein eigenes Hoffnungspotential auf verbindliche menschliche Zuneigung selbst erhalten.
Prächtig temperiert, mit musikantischem Schwung und nuancierter Feinnervigkeit spielt die Staatskapelle unter Maestro Barenboim auf. Die Dringlichkeit der menschlichen Interaktion auf der Bühne wird aus dem Orchestergraben laufend weiter beseelt.
Wird man die Wiederbegegnung mit einer solch beglückenden Aufführung nach der Krise in all ihrer sinnlichen Schönheit wieder ertragen können nach so langer Abstinenz? Einer Generation von Hörern so jung wie viele der mitwirkenden Sänger sollte sie etwas vermitteln können.
Die Aufführung fand ohne Publikum statt. Der Kamerabegleitung gelang es gut, die Feinheiten der Personenführung einzufangen.
Achim Dombrowski
Copyright: Matthias Baus
04. April 2021 | Drucken
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