Musikhochschule Hamburg: Venus' Trost für Don Giovanni - kann das sein?

Xl__dsc3234_web © Pattrick Sobottka

Don Giovanni

(Wolfgang Amadeus Mozart)


Premiere am 17.11. 2023

 

Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Theaterakademie Hamburg

im Rahmen der Reihe junges forum Musik und Theater

 

Eine Neuinszenierung des Don Giovanni ist immer mutig – für die eine Abschlussfinanzierung bei der Theaterakademie allemal. Die Studierenden an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg trauen es sich trotzdem zu – und es gelingt ganz wunderbar. Lea Theus ist die Regisseurin, die in ihrer Abschluss-Inszenierung zusammen mit der Ausstatterin Ariana Stamatescu den Zuschauer in den Todestaumel Don Giovannis reißt.

Noch kann der größte Frauenverführer aller Zeiten im ersten Akt die anderen Akteure wie an Strippen herbeiziehen, zum Spaß mit lustigen Sahnehäubchen versehen, nach seiner Façon tanzen lassen oder verführte Frauen wie ausgestopfte Schmetterlinge sammeln. 

Donna Anna und Elvira, wie Don Giovanni von adeliger Abstammung umgeben sich mit materiellen Merkmalen wie um ihre Stellung in der Gesellschaft zu unterstreichen. Sie kommen auf Skiern auf die Bühne, bringen Unmengen Koffer mit und haben wie selbstverständlich auch ihren persönlichen Liegestuhl zur Hand.

Im zweiten Akt dann ändert sich das Bild gewaltig. Eine rasante Spur des Alterns, der Schwäche und des Todes greift um sich. Die Ausstattung wird karg, Don Giovanni kann sich nur noch am Stock bewegen. Die Rahmenbedingungen lösen sich auf. 

Es gab auch schon ein Wetterleuchten: die größte und schockierende Bruchstelle markiert die Bauerntochter Zerlina, für die sich Don Giovanni gerade noch als neue, weitere Eroberung interessiert. Am Ende des ersten Aktes gellen ihre Hilferufe aus dem Hintergrund, sie wird von Don Giovanni bedrängt. Doch ganz offensichtlich ist hier etwas anders: Don Giovanni steht ganz vorne auf der Bühne und ist ihr gar nicht nahe. 

Als Zerlina schließlich auf der Bühne erscheint, ist sie nicht wiederzuerkennen: mit einem stilisierten, roten Haarschopf und mit dem Körper wie ein archetypisches Bild der Venus –eine stumme Erscheinung vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen, die die anderen mit Don Giovanni ausfechten. Von nun an ist plötzlich auch ein Skelett ständiger Begleiter Don Giovannis.  

Zerlina/Venus erscheinen auch im zweiten Akt. Abweichend vom Libretto wird Don Giovanni (anstelle von Masetto) geschlagen und zugerichtet. Während eigentlich Zerlina auf den ihr im Sujet verbundenen Masetto zugeht, um ihn in der Arie batti, batti, bel Masetto  ...  zu trösten, nimmt sie Don Giovanni zur Tröstung in die Arme. 

Die reale Handlung wird zugunsten der archetypischen Begegnung von Venus und Don Giovanni im Angesicht des Todes angehalten und überhöht, bevor auch Zerlina wieder in ihrer ‚alltäglichen‘ Form erscheint. 

Musikalisch ist diese  Stelle ideal gewählt:  Zerlinas Arie verströmt den umfassenden Trost und die Geborgenheit in einer weiblichen Seele – in ihrer ganzen unendlichen Dimension zwischen Mütterlichkeit, Erotik, als Samariterin und als Heilige Maria, wenn man so will. Die ungewöhnliche szenische Umsetzung verdeutlicht, wie Mozart in dieser Musik (mit großer äußerer Leichtigkeit) - wie sonst in einigen Passagen des Figaro - ein verinnerlichtes Portrait der Weiblichkeit geschaffen hat.  

Die Venusgestalt verbleibt stumm und (scheinbar/tatsächlich -?) auch ohne Anklage auf der Szene. Ist sie dennoch als Opfer Don Giovannis (der Männer -?) zu sehen? Dieser jedenfalls kann ihre Tröstungen (Verzeihen -?) wie im Arm der Mutter annehmen, bevor er seine Höllenfahrt antritt. 

Ein bemerkenswertes Bild in Fortsetzung der vielschichtigen Deutungen des Mythos – es verfolgt den nachdenklichen Zuschauer noch lange nach der Vorstellung.      

Den Don Giovanni singt und spielt überzeugend Louis de Bencourt. Seine feine Baritonstimme kommt in der fein austarierten Mandolinenarie besonders schön zur Geltung. In den Ensembles und handlungs-dramatischen Rezitativen können das Volumen und der Ausdruck der Stimme noch wachsen.  

Einen besonders souveränen Mozartgesang hören wir beim Leporello von Qinchuan Lan. Der Sängerdarsteller weiß sich mit präziser Stimmführung außerordentlich feinfühlig in die Orchester- und Gesangslinien einzufügen. 

Anna Senda-Pimentel als Donna Elvira und Esther Bomhard als Donna Anna treten mit viel Spielfreude auf und widmen sich energisch den anspruchsvollen Gesangspartien, dabei mit Wagemut bei den anspruchsvollen Koloraturanforderungen.    

Taras Semenov als Don Ottavio präsentiert seine fein gearbeitete Arie mit Schmelz und schöner Stimmführung. Zugleich überzeugt er mit innigem, ein wenig selbst-vergessenem Spiel, aber sehr angemessen für den idealistisch-schwärmerischen Ottavio. 

Zerlina  Rosa Lüttschwager kommt eine besondere Rolle in dieser besonderen szenischen Realisierung zu, die sie mit gesanglicher Bravour meistert. 

Der Masetto  von Friedrich Hagedorn ist ein klangschöner Masetto. Eine Sonderstellung nimmt Christoph Rausch als Commendatore ein: der erfahrene Sänger rundet das ansonsten junge und studentische Ensemble durch seine reife und erfahrene Leistung perfekt ab. 

Das Orchester ist jeweils nur mit einer Einzelstimmen für jedes Instrument besetzt. Das macht jede Phrasierung, jeden Übergang, jede Akzentuierung durchhörbar. Für die beteiligten Musiker eine anspruchsvolle und herausfordernde Arbeit von über zweieinhalb Stunden ununterbrochener Konzentration und Hingabe. Das kleine Ensemble erfüllt diese Aufgabe souverän - intensiv geprobte Teile wie das Finale I gelingen besonders gut.  Alle Mitglieder dieses Orchesters haben einen deutlichen Schritt nach vorne für ihre zukünftige Orchesterpraxis gemacht. 

Die musikalische Leitung lag bei Giordano Bruno de Nascimento, der alle Beteiligten mit Umsicht und sicherer Hand führt. 

 

Achim Dombrowski

Copyright: Patrick Sobottka

 

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