Parsifal-Festspiele in Hannover

Xl_parsifal_michael_kupfer-radecky__daniel_eggert__chor_der_staatsoper_hannover__extrachor__kinderchor__bewegungschor__statisterie___sandra_then © Sandra Then

Staatsoper Hannover

Parsifal

(Richard Wagner)

Premiere am 24.09.2023  

besuchte Aufführung: 8.10.2023

 

Der Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson stammt aus einer isländischen Theaterfamilie. Als Kind ist er mit Oper und Schauspiel in Berührung gekommen, deren Faszination ihn nicht mehr losließen. In Hannover ist er kein Unbekannter: hier hat er im Schauspiel 2018 die Edda inszeniert, für die er den Deutschen Theaterpreis Der Faust erhalten hat. Soeben gaben die Bayreuther Festspiele bekannt, dass er 2024 die Neuinszenierung von Tristan und Isolde auf dem Hügel verantworten wird.

Für Arnarsson ist Parsifal eine Parabel einer sterbenden Welt, in welcher er die immer wiederkehrenden Mechanismen eines überkommenen (Herrschafts-)Systems erkennt: Selbstfokussierung, Schuldzuweisung nach außen, Veränderungs- und Reformunfähigkeit. Kein Platz für neue Gedanken. Kein Glauben an eine Lösung. Ein Festival der Untoten. 

Damit wird ein Verlauf beschrieben, der letztlich immer auch Bestandteil des Prozesses jedes großen zivilisatorischen Umbruchs ist. Im weitesten Sinne somit immer auch Kaleidoskop des menschlichen Daseins.  

In dieser Grundsätzlichkeit und Einfachheit sowie mit Bildern archaischer Wirkung vermittelt er nun in Hannover in der ersten Neuinszenierung des Parsifal seit rund 40 Jahren die Geschichte der Gralsritter aus seiner Perspektive: Welt- und Gegenwelt von Amfortas und Klingsor stehen sich in demselben Dilemma gegenüber. Sie sind auf Gehorchen, Optimierung, beständiges Funktionieren angelegt, nur gegeneinander. Folgerichtig werden Amfortas und Klingsor vom selben Sängerdarsteller verkörpert. 

Kundry und Gurnemanz sind Bewahrer, die immer das Gefüge stützen, indem sie die Hoffnung auf eine Besserung nicht aufgeben wollen oder nur die Perspektive der technokratischen Verwaltung kennen. 

Die Gralsritter befinden sich in einem Ritual, das ihnen im Zweifel den Tod bringen wird, dem sie aber nicht entkommen können. Die Katastrophe kann nicht mit denselben Mitteln verwaltet, gar vermieden werden, durch die sie entstanden ist. 

Auch Parsifal lebt zunächst im alten Ritual fort, und scheint die alte Aufgabe von Amfortas unverändert zu übernehmen. Aus Mitgefühl fügt er sich bei Übernahme des Amtes dieselbe Wunde zu. Parsifal ist auf drei (Zeit-)Ebenen angelegt. Er erscheint als alter Mann, Parsifal (in mittlerem Alter) und als Kind. Seine Personifizierung als Kind erst kann einen Ausbruch ermöglichen. Das Kind bleibt allein wie auf einem Totenacker im Gegenlicht greller, auf das Auditorium gerichteter Scheinwerfer auf der Bühne zurück und übernimmt einerseits die Bürde des Neuanfangs, andererseits zugleich die notwendige Aufgabe des spannenden und zukunftsgewandten Ausbruchs aus dem tödlichen Kreislauf. Wird er gelingen? Wird der junge Mensch mitfühlen und zuhören können, die Schuldzuweisungen („how dare you?“) hinter sich lassen, zweifeln und Neues schaffen? Das Bild wirkt wie eine letzte Hoffnung.  

Die Aufführung schlägt den Zuschauer in Bann. Die Konzentration der Gedanken und Umsetzung in Personenführung und Bild lässt einen auch in der Erinnerung lange nicht mehr los. Der unmittelbare Bezug zum Heute mit unseren vielfältigen Krisen und Verunsicherungen ist mehr als schmerzlich präsent.      

Wolfgang Menardi schafft eine beengte und todgeweihte Perspektive für die Gralsritter im ersten Akt (schwarz) mit abgestorbenen Baumstümpfen sowie Klingsors und der Blumenmädchen im zweiten Akt (weiß). Rote, elektronische Spruchbänder lassen fortwährend die Regeln und Anforderungen der alten (Produktions-)Welt aufscheinen: „...obey, serve, optimize...“  Im dritten Akt schließlich präsentiert sich die gesamte Bühne offen und leer mit heruntergelassener Beleuchtungsbrücke. 

Die Kostüme von Karen Briem und dem Nachhaltigkeitsdesign von Andri Hrafn Unnarson zeigen Alltagskleidung oder Kreationen aus bereits vormals verwendeten Materialien und Kostümen am Hannoveraner Theater. 

Die Doppelrolle von Amfortas und Klingsor gibt Michael Kupfer-Radecky mit verzweifeltem Ausdruck und überzeugendem stimmlichen Gestus.  

Die Kundry und Stimme aus der Höhe singt Irene Roberts ausdrucksstark und mit betörender und überwältigender Stimmführung.  

Marco Jentzsch als Parsifal beeindruckt durch seine überzeugende darstellerische und stimmliche Präsenz. Die Höhen konnte Jentzsch weiter ausbauen, die langen Gesangsbögen erklingen immer eindrucksvoller.   

Ensemblemitglied Shavleg Armasi meisterte die gewaltige Herausforderung der Partie des Gurnemanz mit kluger Disposition der Kräfte, klarer Diktion und noblem gesanglichen Gestus. Möglicherweise wird eine längere Auseinandersetzung mit der Partie noch mehr Ruhe in den Ausdruck und die Bögen der Gesangslinie bringen.

Daniel Eggert fand für den sterbenden Titurel angemessene stimmliche Gestaltungskraft.   

Chor, Extrachor der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Lorenzo Da Rio und Kinderchor der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Tatiana Bergh erfüllten die großen und anspruchsvollen Aufgaben mehr als überzeugend. 

Niedersächsisches Staatsorchester Hannover mit seinem Chef Stephan Zilias spielt die Partitur zunächst recht zügig und vermeidet jede überfeinerte Weihe. Dieser Stilistik setzt sich in Gesang und Darstellung der Sänger fort. Es wird verständlich deklamiert und, die langen Ausführungen von Gurnemanz gehen nicht in einen unendlichen Bogen auf, sondern werden wie Episoden mit teilweise liedhaftem Tonfall vorgetragen. Auch mit den anderen Sängerdarstellern atmet Zilias einfühlsam mit und ermöglicht gesanglich überzeugende Rollenportraits.         

Langer Beifall für alle Solisten, den Dirigenten mit vielen Bravo-Rufen für die Protagonisten.

Die Oper Hannover bietet ein umfangreiches Rahmenprogramm unter dem Motto: „Nehmen Sie sich eine Auszeit mit Parsifal“. Dazu gehört eine erklärende Foto-Darstellung der nachhaltigen Kostümproduktion aus alten Materialien, weitere Foto- und Videopräsentationen im Hause und Yoga-Übungen in der langen Pause nach dem 1. Akt. 

Aufschlussreich ist ein Interview des Wagner-Verbandes Hannover mit dem Regisseur auf youtube (https://www.youtube.com/watch?v=sR95vzNRCqI), auf dem der Künstler ausgiebig seine künstlerische Vision des Werkes erörtert und auch über seine Sicht auf Richard Wagner spricht. 

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Sandra Then

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