Vom Höhepunkt der Ambivalenz

Xl_bild_1 © Barbara Aumüller

Oper Frankfurt

Der Prinz von Homburg

(Hans Werner Henze)

Premiere 23.9.2024

Die Oper Frankfurt eröffnet die Spielzeit mit Hans Werner Henzes Der Prinz von HomburgDas Werk wurde 1960 an der Hamburgischen Staatsoper zum ersten Male gezeigt. Das Libretto von Ingeborg Bachmann basiert auf dem 1821 posthum uraufgeführten Schauspiel von Heinrich von Kleist. 

Verhandelt wird eine militärisch erfolgreiche Insubordination. Gehorsam und Staatsraison stehen dem Individuum und seiner Würde gegenüber. Der Kurfürst distanziert sich schließlich von seiner machtorientierten Gesetzesstarre, indem er sein verhängtes Todesurteil in die Hände des angeklagten Prinzen selbst legt. Dieser wiederum akzeptiert unerwartet schließlich dieses Urteil. Der Konflikt zwischen Staatsraison und der Freiheit des Individuums scheint gelöst. Hierbei hat Prinzessin Natalie von Oranien erheblichen Einfluss. So bittet sie ihren Onkel, den Kurfürsten, um die Gnade den „...lieblichen Gefühlen...“ (der Begnadigung) zu folgen. Auf dem Weg zur Hinrichtung wird dem Prinzen die Augenbinde abgenommen: Natalie überreicht ihm den Lorbeerkranz des Sieges – ein Bild, das der Prinz schon zuvor im Traume gesehen hat. Worin besteht sein Sieg?  

Henze und Bachmann standen preußischem Militarismus und den unverarbeiteten Traumata Deutschlands in den 50er Jahren mit meilenweiter Distanz gegenüber. Beide waren Außenseiter dieser Gesellschaft. Henzes offene Homosexualität und seine künstlerische Überzeugung, der nach er sich der strikten, moralisierenden Lehrmeinung Donaueschingens entzog und sowohl Atonalität, serielle Kompositionselemente wie auch klangfreudige, tendenziell romantischere Bestandteile mischte, trafen zeitlebens auch auf Ablehnung. Beide Künstler bevorzugten ein Leben in Italien statt in ihrem Heimatland.

Neben der Kürzung von fast zwei Dritteln des Textes und minutiösen Veränderungen einzelner Worte und Schattierungen, entfernt Bachmann die Vorlage weit vom Militärischen. Natalie wird behutsam in ihrer Weiblichkeit und Trägerin von Humanität dargestellt. Lange haben Komponist und Librettistin um die (Schluss-) Worte des Prinzen „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ gerungen, die sie schließlich übernommen haben. Die Mehrdeutigkeit dieser Szene führte seit jeher dazu, dass schon das Schauspiel zu verschiedenen politischen Gezeiten und Umfeldern ideologisch passgenau interpretiert wurde.          

Der Regisseur Jens-Daniel Herzog mit dem Bühnen- und Kostümbildner Johannes Schütz und der Lichtkunst von Joachim Klein bedienen sich der Abstinenz der Versuchsanordnung und den Stilistik der Brecht’schen Parabel, um den aktuellen Gehalt des Werkes neu zu beleuchten. Auf gänzlich leerer Bühne werden die Protagonisten wie traum-schwebend durch die Drehbühne herein- und hinausbewegt. Sie scheinen traumverloren nicht aus eigenem Antrieb zu handeln. 

Zwei große Quader beherrschen die Szene. Einer ist offen und wird von allen Seiten betreten, ein zweiter hat durchsichtige Wände und schließt die Protagonisten ein. Noch während Homburg seinem Tot entgegensieht, befindet er sich mit allen anderen Personen in diesem abgeschlossenen Quader-/Gesellschaftssystem. Mit ironischen Gesten um ihn herum feixen sie eiskalt über seine Todesangst. 

Als er unerwartet Begnadigung und Lorbeerkranz erhält, vermag er sich kaum mehr zu erheben – ist er von einem unüberwindbaren System des Herrschers vereinnahmt worden? War dies ein Traum und ist sein Ideal, sind seine Sehnsüchte dennoch gestorben? Herzog vermag die Ambivalenz des Stückes eindrucksvoll auf den Höhepunkt zu treiben und zwingt so den Betrachter unweigerlich zur eigenen Reflexion, um für sich selbst die Deutung und Bewertung vorzunehmen - eine heute angemessene und vollkommen überzeugende Umsetzung.   

Die Sänger treten fast alle in Rollendebüts auf. Domen Križaj als Prinz von Homburg setzt seinen klangschönen Bariton in der schwierigen Partei eindrucksvoll und ohne Schonung ein. Er vermag die Zerrissenheit des Prinzen zwischen Gehorsam, Angst und seinen Sehnsüchten eindrucksvoll zu gestalten.   

Die Partie der Prinzessin Natalie von Oranien kann mit ihren permanenten extremen Spitzentönen und Tonsprüngen gar nicht überschätzt werden. Die souveräne Leistung von Magdalena Hinterdobler ist ein Höhepunkte des Abends und kann nicht genug gewürdigt werden.   

Weiterhin überzeugen Yves Saelens als Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Magnus Dietrich als Graf Hohenzollern und Annette Schönmüller als Kurfürstin in ihren ausgefeilten und überzeugenden sängerischen und darstellerischen Leistungen.  

Takeshi Moriuchi führt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester sicher durch die vielschichtigen, teils schrillen Momente der Partitur, die wirkungsvoll auch Grenzsituationen der Sprachlosigkeit hörbar macht. Dabei werden alle Instrumentengruppen mit intrikaten, teils exaltierten Klangbildern gefordert.

Viel Applaus und Bravorufe für das Ensemble. Viele checken neugierig noch im Zuschauerraum die Hochrechnungen zur Brandenburg(-!)-Wahl auf ihren Handys.

Achim Dombrowski

 

Copyright: Barbara Aumüller 

 

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