Im Oktober 2012 hob sich zum ersten Mal der Vorhang für diese Neuchoreografie von Sergei Prokofjews Ballettmusik "Romeo und Julia" im Opernhaus Zürich. Mit dieser mehrfach ausgezeichneten Produktion trat der Choreograf Christian Spuck sein Amt als neuer Direktor des Balletts Zürich als Nachfolger von Heinz Spoerli an. Inspiriert von der expressiven, bildhaften Musik Prokofjews erzählt er die wohl berühmteste Liebesgeschichte, Shakespeares Tragödie von zeitloser Aktualität in mitreissenden ausdrucksstarken und berührenden Bildern, die sich harmonisch aneinanderreihen und so einen packenden Spannungsbogen kreieren. Ein eingefrorenes Bild zu Beginn, die Tänzer bereiten sich auf den Abend vor, langsam schmilzt die Starre und entwickelt sich zu einem bewegungsreichen, phantasievollen Ablauf mit vielen theatralischen, emotional geladenen Pas de Deux und geschickt aufgestellten Auftritten der grossen Compagnie. Realistisch kämpferisch nahezu cineastisch muten die verschiedenen Degenkämpfe an, die in der markigen schwerfälligen bis scharfen Musik Prokofjews sich widerspiegeln.
Ursprünglich für das Kirov Theater geplant entstand das Werk 1935 im Auftrag des Bolschoi Theaters. Uraufgeführt wurde Romeo und Julia aber am 30. Dezember 1938 in Brünn. Es stellt Prokofjews bedeutendste Ballettkomposition und einen der Höhepunkte seines musikalischen Schaffens dar. Abwechslungsreich und vielfältig ist die Instrumentierung, harmonisch reicht die Musik mit Dissonanzen bis zur Atonalität und Moderne. Rhythmisch fordert sie Musiker und Tänzer heraus.
Meist bleibt die Bühne leer am Abend. Mit nur wenigen aber dafür umso wirkungsvollen Requisiten und einer klugen Lichtregie schafft Christian Schmidt Räume und Stimmungen. Ein großer Luster liegt in Julias Zimmer während der Liebesnacht am Boden, langsam wird er in die Höhe gezogen und die Lampen gehen an – es wird Tag und es singt nicht mehr die Nachtigall. Wie von magischer Hand mischt sich im letzten Bild eine Staffelage mit brennenden Kerzen in das Geschehen um den Tod und Julias Begräbnis ein.
Emma Ryotts Kostüme sind einheitlich dunkel aber im Schnitt auffallend und tanzgerecht. Historisch angelehnt tragen die Tänzerinnen zum Teil aufgepeppte weit ausgestellte Röcke, die Tänzer Pumphosen aus der Renaissance. Auch modische dunkle Brillen gehören zur Charakterzeichnung für Pater Lorenzo und Julias verschmähten Bräutigam.
Christian Spuck versteht es die bestens bekannte Handlung realistisch und empfindsam in Tanz umzusetzen und die handelnden Personen, in diesem Fall in ausgefeilten Bewegungsabläufen zu charakterisieren und die unterschiedlich konfliktbeladenen zwischenmenschlichen Beziehungen in jeder Gestalt zu fassen.
Die verinnerlichte Feindschaft der beiden Familien, höfisches Protokoll, die Feierlaune und Gewaltbereitschaft der Jugend finden in den Bildern Eingang genauso wie die innige, tiefe Freundschaft und Liebe bis in den Tod.
So ist Mercutio ein allseits beliebter „Wonnebrocken“, der gerne seine Spässe treibt aber ein Freund zum Pferde stehlen ist. Daniel Mulligan gelingt die Übersetzung dieser Zeichnung des Mercutio. Inspiriert von der Festlaune lässt er sich in den Degenkampf mit dem humorlosen, von Hass erfüllten Tybalt, getanzt von Tigran Mkrtchyan ein. Den Tod erwartend und fühlend will er noch freudig Späße machen, die aber im Keim ersticken.
Die ersten Solotänzer der Compagnie Katja Wünsche und William Moore haben die anspruchsvolle Aufgabe der Gestaltung des tragischen Liebespaares zu übernehmen und bravourös gemeistert. Mit einer Vielzahl von Einfällen an Figuren und Tanzschritten hat Christian Spuck ihre verschiedenen Szenen und Pas de Deux ausgezeichnet, vom der ersten Begegnung, dem Aufflammen der Liebe, der Liebesnacht bis zum Tod. Meisterhaft und unvergesslich verbindet er klassischen Tanz mit moderner Expressivität und Artistik, entwickelt er Gefühle, vom vorsichtigen gegenseitigen Betasten des Körpers bis zu Verschmelzung. Das Bild gipfelt in der gefühlsgeladenen Choreografie des verzweifelten trauernden Romeo in der Gruft. Vergeblich versucht er die vermeintlich Entseelte aus der Gruft zu entführen und das Leid ganz für sich zu behalten. Schmerzlich scheitert er und es bleibt nur das Gift. Ein letztes Aufflammen mit der erwachenden Julia der nun auch nur mehr der Dolchstoß bleibt, um sich mit ihrem Geliebten zu vereinen.
Prokofjew hat aus der Ballettmusik verschiedene Suiten geschaffen, die als Konzertstücke hohe Beliebtheit und Bekanntheit erlangt haben. Michail Jurowski steuert all die musikalischen Farben und Impressionen bei. Er trifft den richtigen Impuls und Takt und bildet die Stimmungen ab. Mächtig und bedrückend oder wiederum barock zart tönt es aus dem Orchestergraben, flirrend impressionistisch und leicht werden Natur- und Liebesstimmung ausgekleidet. Das Publikum reagiert mit grossem Beifall.
09. Mai 2020 | Drucken
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