Georg Friedrich Hass Bluthaus Ja, Mai Festspiele Bayerische Staatsoper 25.5.2022
Bluthaus München -Schmerzhaftes Psychogramm der Bürgerlichkeit
Ein neuer Intendant in München startet mit einem neuen Festival. Serge Dorny widmet diese Ja, Mai Festspiele der Verknüpfung der Ürsprünge der Oper mit dem zeitgenössischen Schaffen. Ein gewagter Bogen, der in der ersten Ausgabe im Zeichen Claudio Monteverdis und Georg Friedrich Haas steht. Es geht Dorny nicht um Uraufführungen und Auftragswerke, Die Bayerische Staatoper will moderne Opern zu mehr Bekanntheit und häufigere Aufführungen bringen. Der international anerkannte Komponist Haas schuf in den Jahren 2011-2016 in enger symbiotischer Zusammenarbeit mit dem Librettisten Händl Klaus einen Opernzyklus aus Thomas, Bluthaus und Koma. In der ersten Ausgabe des Festivals kommen aufgrund der politischen Rahmenbedingungen nur Bluthaus und Thomas zur Aufführung. Die Beteiligung von Teodor Currentzis als Dirigent von Koma verhinderte die Umsetzung des Vorhabens.
Als Quasi Umrahmung werden diesen Opern ausgewählte Kompositionen von Claudio Monteverdi zugefügt. Die musikalische sowie die textliche Verschmelzung ist verblüffend. Das Libretto von Händl Klaus handelt vom väterlichen Missbruch an seiner Tochter Nadja. Ihre Mutter tötet den Vater und sich selbst. Diese Vorgeschichte schwebt während des gesamten Abends im Raum, während die Zuschauer Nadjas Bemühungen das Elternhaus zu verkaufen erleben. Sie scheitert an der herzlosen Gesellschaft und schliesst sich am Ende selbstzerstörerisch ein. Der Stoff trägt autobiografische Züge für den Komponisten, der dieses Psychogramm in feinfühliger expressiver Musik umsetzt. Bohrend monoton wirkt die Mikrotonalität der sich Haas bedient. Er zerlegt die einzelnen Töne und erreicht durch diese Zwischentöne eine neue Klangvielfalt, die an Spannung an Filmmusik erinnert. Wie auftürmende Klangwellen schwappt die Musik an Schlüsselszenen über die Bühne hinaus. Kaum melodisch wird gesungen, staccatohaft wird zumeist in höchsten Lagen rezitiert.
Claus Guth liefert mit Bluthaus seine zweite Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper. Meisterhaft ist seine Herausarbeitung der Charaktere der zahlreichen Personen. Auf der leeren Bühne, von Etienne Pluss gestaltet, erleben wir zur Musik Monteverdis eine schmucklosen grauen Verhörraum und wechseln durch die Lichtregie von Michael Bauer und Videos von rocafilm in das moderne Elternhaus Nadjas, vom Vater selbst entworfen. Hell ausgeleuchtet ist die Sterilität erdrückend. Der Makler Axel Freund und die besichtigenden Personen sind in markant bunte traditionel bürgerliche Kleidung von Petra Reinhardt gesteckt. Exotisch in subtilem Rot für Gefahr erscheinen dagegen die Nachbarn Schwarzer, die die grausamen Vorkommnisse am Tatort aufdecken und das Vorhaben Nadjas kippen lassen und die Tragik anheizen. Ein ungewöhnliche packende Regiearbeit, die gerade im gewählten Ambiente des üppig barocken Cuvillestheaters als intime heile Welt unter die Decke der biederen selbstgefälligen Bürgerlichkeit schauen lässt.
Titus Engel meistert mit Bravour den Spagat zwischen mittelalterlichem Choralklang und überschäumender moderner Klangflut und Instrumentierung. Das Bayerische Staatsorchester hat er hierfür mit dem Montiverdi Continuo Ensemble ergänzt. Sehr präsent steht Vera-Lotte Boecker als Nadja den gesamten Abend im Mittelpunkt. Groß sind die Herausforderungen an ihr Spiel und den Gesang, die sie souverän in feiner Zurückhaltung löst. Unabdingbar als Opfer gestempelt erleben die Anwesenden den Prozess des inneren Zusammenbruchs, das psychische Drama der Zerstörung des Ich. Stimmlich bewegt sie sich gefühlt problemlos in den Obertönen und findet immer die richtige Färbung. Ihr heller und frischer Sopran erfreut besonders zu den Klängen der Renaissance.
Natascha Albrecht ihre Mutter wird von Nicola Beller Carbone durch eine besondere Ruhe in der Präsenz geprägt. Sie hat dem Leid der Tochter und ihrem nach jahrelangem disziplinierten Wegschauen ein Ende gesetzt. Bo Skovhus ist für seine Charakterdarstellungen gefeiert. Auch als Werner Albrecht, Nadjas Vater kann er als Übeltäter in der perfekten Tarnung in Spiel und Gesang brillieren. Als Anerkennung für seine langjährige Verbindung erhält er im Anschluss der Aufführung die Ernennung zum Bayerischen Kammersänger. Den hilfsbereiten Makler Axel Freund zwischen den Habdelnden zeichnet Hagen Matzeit mit dem richtigen Gespür. Bewusst ist die Rolle für einen Counter gestaltet und erreicht durch diese Stimmlage einen besonderen
Von den zahlreichen durchgängig bestens besetzten Rollen sind besonders die Leistungen der Solisten des Tölzer Knabenchor als Meinhard, Jeremias, Lukas Malera hervorzuheben.
Hörbar betroffen und mitgenommen zeigt sich das Publikum mit langer Pause am Ende bevor begeisterter Beifall ausbricht.
Dr. Helmut Pitsch
26. Mai 2022 | Drucken
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