Wolfgang Amadeus Mozart Don Giovanni Salzburger Festspiele 6.8.2024
Ein sinnlich spielerischer Don Giovanni in Salzburg mitreißend in Szene gesetzt
Bereits 2021 hat Romeo Castellucci seine Interpretation des Don Giovanni bei den Salzburger Festspielen vorgestellt. Nunmehr kehrt er deutlich überarbeitet zurück und kann das Publikum mit seiner in den Bildern ästhetischen und in seiner Konzeption surreal symbolistisch begeistern. Bevor noch die Ouvertüre einsetzt, wird eine hell weiß auskachelte barocke Kirche von einem Umzugstrupp geleert. Danach schreitet genüsslich eine Ziege über die Bühne, symbolisch schon der Teufel, stellvertretend für Don Giovanni, der jetzt hier einzieht Don Giovanni ist ein Held, der Liebe und Begehren nicht trennen oder verbinden kann. Er ist wie ein gelangweiltes Kind, das sein „Spielzeug“ vor den Augen des Betrachters zerstört und dann sich selbst, da er keine Reue zeigt.
Castellucci und sein Team verbergen die Tragödie hinter sauberen, fast klinisch reinen Bildern und Kostümen. Wallende Vorhänge, herabstürzende Bälle, Flügel, Autos und eine behutsam herabgelassene Kutsche ergänzen die Bilder, der zerstörerischen Handlung folgend. Surreal ist die Zeichnung des Don Ottavio in verschiedenen Kostümen und mit wachsendem Pudel als Begleitung. Er ist der gute Antiheld Don Giovannis, der aber auch keine Lösung für sein Gutdenken bereithält. Deftig bäuerlich wird Zerlina zum Objekt der Begierde mit Zirpengeräuschen und einem dümmlichen Masetto.
Spannend ist die Auflösung nach der Pause. Castellucci bringt eine Vielzahl von Statistinnen auf die Bühne, Don Giovanni wird vom Jäger zum Gejagten. In der Choreografie von Cindy van Acker nehmen die Frauen Aufstellung auf der Bühne, sind zumeist in ruhig fließenden Bewegungen zu erleben. In ihren ebenso fließenden weißen und hellroten Gewändern erinnert sich der Betrachter an griechisches Theater der Antike. Im Finale erscheint der Commendatore aus dem Off, Don Giovanni wirft sich, wie von fremder Hand geführt, auf den Boden, entkleidet sich und wälzt sich, bis der Gips auf dem Boden seinen Körper ganz weiß erscheinen lässt. Er wird versteinert wie die bekannten Opfer der Katastrophe von Pompeij. Wie deren Abgüsse werden Figuren auf die Bühne getragen, und im Schlußquintett nehmen alle die entsprechenden Haltungen ein – das Ende trifft jeden ob gut oder böse. Zusammengefasst ist der Abend auf der Bühne spannend, die szenische Umsetzung ist neuartig philosophisch und einzigartig ohne Vergleichbarkeit. Castellucci ist es gelungen, den Stoff ohne Eingriffe modern, unpolitisch aber mit starker Ausdruckskraft zu versehen.
Ebenso spannend ist das Geschehen im Orchestergraben. Teodor Currentzis steht am Pult seines neugegründeten Utopia Orchesters. Laut Programm soll dieses ein „besonders schöpferisches Kollektiv“ sein, aus den international besten Musikern. Aufgrund der politischen Nähe zu den russischen Machthabern und Sponsoren sind beide im Westen in Kritik geraten. Qualitativ ist festzuhalten, dass der Anspruch nahezu erreicht wird. Currentzis agiert mit Akribie und phantasievollen Gesten gegenüber den Musikern, nuanciert nahezu jedes Instrument im Klang. Die Vielfalt der Tempi stellt hohe Anforderungen an die Musiker. Fermati und Crescendi werden minutiös austariert. Vorbildlich und nahezu perfekt ist die Begleitung und Unterstützung der Sänger vom Hammerklavier als Contiuno aus. Hier wird im schlanken Klang verziert, unterlegt oder verstärkt ohne den Sänger zu nahe zu kommen. Diskret arbeitet er mit einfachen Stilmitteln. Die Saiten werden beim Basso Continuo heruntergestimmt, weitere Stücke von Mozart werden eingepflegt, der Chor übernimmt das Finale von den Solisten oder der Orchestergraben wird zur Verstärkung hochgefahren. Die Musiker müssen immer wieder im Stehen spielen. Gefühlt und gehört überläßt der Russe mit griechischen Wurzeln nichts dem Zufall.
Das Sängerensemble ist wieder bestens zusammengestellt, weitestgehend wie in 2021 besetzt und begeistert zumeist. Davide Luciano ist ein spielfreudiger Don Giovanni der mit seinem dunklen aber sehr flexiblen Bariton immer mehr in die Rolle des uneinsichtigen aber auch überdrüssigen Bösewichts hineinschlüpft. Sein Diener Leporello wird von der Regie zu seinem schattenhaften Doppel in Gestik und Erscheinung, die Kyle Ketelsen gut umzusetzen vermag. Er hat auch als Don Giovanni in Wien überzeugt und hier kann er seine Kenntnis beider Rollen gut einbringen. Die Donna Anna von Nadezhda Pavlova besticht durch klaren reinen Gesang mit perlenden Koloraturen. Dazu gibt sie eine lebendige gefühlvolle edle Tochter mit erotischen Gefühlen. Federica Lombardi besticht mit ihren sicheren transparenten Höhen, die die prekäre Haltung der Donna Elvira gut umsetzen. Sie erscheint mit zwei Kindern auf der Bühne – sehr zum Unwohl des Helden, der sich keine Vaterrolle und Verpflichtung vorstellen kann. Nach anfänglicher Überzeichnung nimmt sie sich zurück und es gelingt ihr so eine eindrucksvolle Rollengestaltung. Julian Pregardien ist als Don Ottavio neu dazugestoßen. Für seine lyrischen Tenor mit prägnanter Höhe geschätzt, kann er in dieser Rolle stimmlich nicht überzeugen. Imm er wieder wirken seine Spitzentöne unrein intoniert, verschluckt oder überzeichnet, seine gekonnt geschmeichelte liedhafte Melodieführung entschädigt. Dmitry Ulyanov ist ein vollmundiger Commendatore- Mit Stock wirkt er sehr zerbrechlich, ein Zweikampf mit seinem Mörder findet nicht statt. Ruben Drole und Anna El Khashem sind ein gewinnendes symphatisch natürliches junges ländliches Brautpaar. Beide erfreuen mit frischen Stimmen, bestens intoniert und sicher geführt.
Helle Begeisterung im ausverkauften großen Festspielhaus und viel Applaus für Sänger Dirigent und Musiker.
Dr. Helmut Pitsch
08. August 2024 | Drucken
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