Berlin/Staatsoper: DER RING DES NIBELUNGEN vom 21.-29. September 2019
Die Dernière des Cassiers-„Ring“
Viel ist bereits über den nicht unbedingt positiv berühmt gewordenen Cassiers-„Ring“ geschrieben worden, der an der Berliner Staatsoper (noch im Ausweichquartier Schillertheater) und an der Mailänder Scala zwischen Oktober 2010 und März 2013 entstand. Ich hatte bis dato nur den „Siegfried“ an der Scala erlebt und mich dort über die doch sehr zurückhaltende Reaktion des Mailänder Publikums trotz guter Sänger gewundert, um es diplomatisch auszudrücken. Ich denke aber, das hatte wohl weniger mit der Inszenierung des Belgiers Cassiers zu tun, der von Wagner zuvor nur den „Fliegenden Holländer“ in Szene gesetzt hatte, als mit der Tatsache, dass der „Ring“ in Italien eben nicht so gut ankommt. Man hat gerade in Mailand naheliegenderweise seine einschlägig bekannten Italo-Götter.
Auf den letzten Drücker wollte ich also diese Produktion noch sehen, aber auch, um das Europa-Debut von Michael Volle als Wotan zu sehen, den ich noch im Mai dieses Jahrs bei seinem Rollendebut an der Met erleben konnte. So seien mir also hier noch einige Anmerkungen zu meiner Sicht der Cassiers-Inszenierung erlaubt, die zum letzten Mal in zwei Zyklen gespielt wurde. In Konkurrenz zur mit dem „Rheingold“ im Juni 2020 beginnenden Neuinszenierung durch Stefan Herheim an der Deutschen Oper im Westen will man bald selbst mit einer Neuproduktion aufwarten, und zwar im Jahre 2022 mit Dmitri Tcherniakov als Regisseur. Das klingt auch interessant, hat Tcherniakov doch gute Arbeiten in Aix en Provence abgeliefert und war auch im Gespräch für den neuen Bayreuther „Ring“ 2020, bevor man - für mich unverständlich - nach ihrem „Ring“-Geschnetzelten am Theater an der Wien im Herbst 2017 auf Tatjana Gürbaca kam, bevor diese dann GsD in letzter Minute absprang. Nun kann man gespannt warten, wie ein No-Name wie Valentin Schwarz in nur neun Monaten (!) die komplette Tetralogie auf die Bayreuther Bühne stellt, wofür am Grünen Hügel normalerweise mindestens zwei „Ring“-freie Jahre vorgesehen sind… Es verspricht also ab Juni des kommenden Jahres äußerst spannend zu werden auf der „Ring“-Achse Berlin-Bayreuth.
Trotz aller vermeintlicher oder tatsächlicher Schwächen der Cassiers-Inszenierung fiel zunächst einmal auf, dass sich die Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim, dessen Vertrag soeben verlängert wurde, mit der „Ring“-Besetzung nicht hat lumpen lassen. Namen wie Michael Volle, Irene Théorin, Andreas Schager, Anja Kampe, Falk Struckmann, Jochen Schmeckenbecher, Simon O’Neill, Anna Larsson, Ekaterina Gubanova, Roman Trekel und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke gehören heute zum gehobenen Einmaleins der Wagner-Bühne. Jedes große Haus kann und wird die Staatsoper um dieses erlesene Sängerensemble beneiden. Ganz im Gegensatz dazu will man an der DOB die Herheimsche Neuinszenierung 2020 mit einem hauseigenen Ensemble angehen. Mal sehen, wie das wird, würde die Erste oder Zweite Norn in der „Götterdämmerung“ singen…
Zunächst einmal zu den Intentionen des Regisseurs, dann zur Umsetzung und ob das, was er als wünschenswert postulierte, auch einleuchtend und nachvollziehbar umgesetzt wurde. Derek Gimpel fördert in einem Gespräch mit Guy Cassiers im ungewöhnlich umfangreichen Programmhaft von sage und schreibe 320 Seiten auf Dissertationsformat, interessante Erkenntnisse zu Tage. Er möchte mit seiner Arbeit Räume schaffen, nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem in den Köpfen der Zuschauer. Für Cassiers ist die Arbeit mit dem Raum im „Ring“ deshalb besonders wichtig, auch um zu beobachten, wie sich die Beziehungen der Personen in ihm darstellen. Das klingt zunächst einmal recht interessant und auch sinnvoll. Es ist immer gut, wenn dem Publikum Freiräume - auch physisch mit einem größere Phantasie fordernden tiefen Bespielen der Bühne - im Rahmen der Wirkungsmacht der Wagnerschen Musikdramen eigene Räume für relevante und auch individuelle Assoziationen geboten werden. Hinzu kommt Cassiers‘ beachtliche Abstinenz von Requisiten. Er steht allerdings zu Wotans, Hundings und Hagens Speeren, zu Siegmunds und Siegfrieds Schwert und zu einem eigenartigen Ring, der wie ein plattgedrückter schwarzer Boxerhandschuh aussieht, von Gold auch gar keine Spur… Also keine Eisenarmierungen als Wotans Speer, der von Siegfried bei Castorf in Bayreuth lediglich verbogen wird. Der Held hat dort ohnehin meist kein Schwert bei sich und wechselt immer wieder mal zu einer Kalaschnikow. Die genannten Requisiten sind schon deshalb von großer Bedeutung, da sich wichtige Leitmotive und viele andere musikalische Verweise um sie ranken, die auch hohe dramaturgische Relevanz haben.
Der Raum, in dem Cassiers die Personen und ihre Interaktionen beobachten will, ist meist auch ansprechend gestaltet. Das von ihm gemeinsam mit Enrico Bagnoli geschaffene Bühnenbild baut insbesondere auf große Projektionsflächen, die manchmal wie riesige, ständig im Licht und beleuchtet schimmernde Jalousien wirken. Auf diese projizieren Arjen Klerkx und Kurt D’Haeseleer ihre nie ganz eindeutigen Videos, besser gesagt Lichtspiele, die in der Tat wegen ihres hohen Abstraktionsgrades und farblicher Intensität die Phantasie anregen. Manchmal erkennt man schemenhaft weite, dann meist öde Landschaften wie bei Anselm Kiefer, ein anderes Mal wieder angedeutete Bauten und ähnliche geometrische Strukturen. Immer wieder aber meint man in sich verschlungene Körper, fast ausschließlich Torsi und abgetrennte Extremitäten, auch die Walküren-Rosse zu sehen, wohl abgeleitet von einer großen Kopie des Marmorreliefs des Belgiers Jef Lambeaux „Les Passions Humaines“ („Die menschlichen Leidenschaften“), ein Werk, das zu seiner Zeit verboten war, weil es als zu provokant empfinden wurde. Dieses bühnenbreite Tableau hat es Cassiers besonders angetan. Es kommt nach einem optisch vertanen Finale des „Rheingold“ und bis dahin krass gegen Wagners Regieanweisungen leider auch in der „Götterdämmerung“ herunter wie ein eiserner Vorhang, hinter dem sich die Götter verstecken und vor dem am Schluss die Überlebenden der Katastrophe stehen und einen neuen Beginn suchen sollen. Das machte dann wieder Sinn. In der „Götterdämmerung“ bildeten große Vitrinen voll solcher Torsi und Extremitäten die Fundamente der Gibichungenhalle, in deren Mauern man also schon vor Siegfrieds Ankunft nicht allzu zimperlich war…
Gut und schön, der große Raum war da und wirkte zumindest auf mich oft sehr einnehmend. Besonders die Feuerszenen im „Siegfried“ sowie im Vorspiel und 1. Aufzug der „Götterdämmerung“ waren sehenswert. In einem solch großen Raum verlangt es aber nach einer guten Personenregie, und Gott weiß warum, die hat Cassiers nicht zustande gebracht, ähnlich wie Robert Lepage bei seinem Ausstattungs-„Ring“ mit the machine in New York. Immer wieder bezugloses Herumstehen der Protagonisten, gerade im „Rheingold“, viel Rampensingen, stereotypes Herumwedeln der Rheintöchter mit ihren langen Roben, ja die allzu häufig fehlende interpersonelle Spannung in den meisten Szenen sind bei dieser Produktion als großes Manko zu beklagen.
Aufgrund der langen Erfahrung in ihren jeweiligen Rollen haben die o.g. Wagnersänger aber immerhin noch einiges daraus gemacht. Die dramaturgisch geschickte Hand eines holistisch agierenden Regisseurs fehlte aber, das war immer wieder zu erkennen. Nun trat aber die umso agilere Tanzgruppe der Eastman Company mit bis zu acht Tänzerinnen und Tänzern auf den Plan, die sich meist in Bodennähe um die Protagonisten herum bewegten und scheinbare oder tatsächliche Höhepunkte tänzerisch untermalten. Auch gingen sie bisweilen mit den Sängern eine optische Verbindung ein. So stellten sie Siegfried mit dem neu gewonnenen Schwert überhöht dar oder bildeten mit einem großen Tuch Fafner als Drachen. Oder, und das war in der Tat gelungen, sie umzingelten Brünnhilde im Moment des Ring-Raubes durch Siegfried wie Blutegel und ließen ihr so keine Chance zur Gegenwehr. Manchmal hatte man jedoch den Eindruck, dass Cassiers mit dieser Tanzgruppe, die von Sidi Larbi Cherkaoui choreographiert wurde, die Personenregie ersetzen oder diese gar auf sie delegieren wollte. Etwas weniger Getanze und mehr Aktion der Sänger untereinander wäre in jedem Falle besser gewesen.
Wenn die Rahmen-Optik also in weiten Teilen ansehnlich war, konnte man über die Banalität oder Absurdität einiger „Regieeinfälle“ nur den Kopf schütteln. Nachdem die Rheintöchter im „Rheingold“ mit wedelnden Röcken im flachen Wasser umherstapften wie bei einer Hausüberschwemmung, legte Alberich das Gold als vier etwas hellere Fliesen auf dem Boden frei und „entführte“ es mit ein paar Schlägen ins Wasser. Einen noch unscheinbareren Goldraub sah ich noch nie! Wenn man nicht wusste, dass es ein solcher sein sollte, hätte man nichts davon bemerkt. Was für ein Unterschied zum „Rheingold“ in Helsinki einige Tage zuvor! Ein anderes Unding waren die roten angefrorenen Schlafzimmerleuchten, die auf die schlafende Brünnhilde in der „Walküre“ niedergingen und so einen äußerst provinziellen Feuerzauber entfachten, wo man es gerade mit dem Feuer in anderen Momenten doch so viel besser machte.
Als wäre es eine inszenatorische Peinlichkeit, gab es keinen Regenbogen im „Rheingold“-Finale, und im „Götterdämmerung“-Finale ging alles drunter und drüber. Die Halle brannte schon, bevor Brünnhilde die Fackel warf, von einem Überfluten des Rheins und den aufstrebenden Rheintöchtern gemäß ihrer musikalischen Motivik war nichts zu sehen. Und dann gab es gar kein Feuer mehr, obwohl nun Walhall brennen sollte. Das hat man in Wien wirklich viel besser gemacht, der eigentliche Höhepunkt des Bechtolf-„Ring“. Stattdessen sah man in Berlin in blendend weißes Licht auf der Marmorplatte und immerhin die Überlebenden davor…
Belassen wir es bei diesen wenigen Beispielen und kommen zu den allzu gewöhnungsbedürftigen Kostümen von Tim van Steenbergen. Diese passten, zumindest was die Herren der Schöpfung bis auf die Riesen angeht, überhaupt nicht zu der abstrakten Produktion. Wotan, Alberich und Hagen sahen mit ihren Fellfetzen-Umhängen aus, als hätte man alle Berliner Kürschner um ihre Fellabfälle gebeten und sie den Sängern über den Körper geworfen. Alberich wirkte dazu im „Siegfried“ noch wie ein großer Nachtfalter. Siegfried kam mit einer gut geschnittenen Rocker-Jacke etwas besser weg. Immerhin waren bei den Herren die Stiefel in bester Verfassung und schwarzem Wichs. Das wäre ja auch was gewesen, in der Hauptstadt des preußischen Soldatentums… Die Damen, insbesondere Brünnhilde, mussten sich ständig mit dem Herumwerfen ihrer grau in grau gehaltenen überlangen Gewänder beschäftigen, die nur selten die Effekte einlösten, für die sie (möglicherweise) gedacht waren. Zu dieser Inszenierung hätten fraglos modernistisch geschnittene Kostüme gehört, wie sie Frida Parmeggiani macht. Sie waren für mich ein glatter Stilbruch.
Ein weiteres immer wieder (un-)sichtbares Ärgernis war die unzureichende Beleuchtung der Figuren durch Enrico Bagnoli. Allzu oft standen sie einfach im Dunkeln, selbst wenn sie gerade sangen. Auf Anhieb fallen mir die Rheintöchter ein, aber auch der Wanderer sang seinen Erda-Weckruf im „Siegfried“ aus völligem Dunkel. Was sollte das?! War man in der Lichtregie einfach zu schlampig, oder fehlt es noch an der Punktstrahler-Technik im gerade renovierten Haus? Jedenfalls verloren viele Bilder damit erheblich an Wirkung und Aussagekraft.
Ich sagte es schon zu Beginn, das Sängerensemble versprach große Leistungen, und dem war dann weitgehend auch so. In diesen letzten beiden Berliner Zyklen des Cassiers-„Ring“ gab Michael Volle nun endlich sein europäisches Wotan-Debut, welches ursprünglich für Wien geplant war. Dort sollte man sich nun schnellstens um ihn bemühen anstatt den „Haus-Wotan“ dort noch endlos weitersingen zu lassen, immerhin in einem der drei weltbesten Häuser… Volle war für mich zumindest über weite Strecken eine Offenbarung wie schon sein Sachs in Bayreuth. Selten sieht man einen Wotan mit solch intensiver Durchdringung der Rolle und der dazu gehörenden Wortdeutlichkeit sowie verbalen Akzentuierung, sodass man wirklich jedes Wort verstehen konnte. Hinzu kommen eine perfekte Phasierung und ein mimischer Ausdruck, der keine Wünsche offen lässt. Wenn noch eine gute Personenregie dazu gekommen wäre, hätte er seinem Wotan möglicherweise noch stärkere Akzente aufsetzen können. Dass er als Heldenbariton nicht die Tiefe eines Theo Adam oder Thomas Stewart bzw. - etwas näher zurückgegriffen - James Morris hat, fällt meines Erachtens aufgrund dieser ausgezeichneten Gesamtleistung nicht ins Gewicht. Hier und da kam er eh beeindruckend weit nach unten.
Als zweiter in der Runde der Topsänger dieses „Ring“ muss zweifellos der Österreicher Andreas Schager genannt werden, der mit seinem strahlenden, kräftigen und wohl nie ermüden wollenden Heldentenor eine Spitzenleistung brachte. Da ich ihn bisher bei Wagner nur als Parsifal und noch nie als Siegfried gehört habe, und mir beim Gralsritter doch seine prinzipiell zu laute und dabei auch eindimensionale Gesangstechnik auffiel, liegt ihm der junge Held Siegfried mit seinem Drängen und Abenteurertum ganz offensichtlich besser. Hier kann er aufdrehen im wahrsten Sinne des Wortes, wenngleich man sich hier und da durchaus etwas mehr Zurückhaltung in der Tongebung gewünscht hätte, also auch mehr Piani und Legato. Es drängte sich bei mir das Gefühl auf, dass Schager einfach Freude hat an der Strahlkraft seiner Stimme und sich gerade beim jungen Siegfried wie ein Fisch im Wasser fühlt. Beispiel im „Siegfried“ zu Brünnhilde: „Sei mein, sei mein, sei mein!“ Aber auch in der „Götterdämmerung“ ist die Art und Weise, wie er zum Beispiel das berüchtigte „Hoihe“ schmettert, derzeit unerreicht. Da stellt er selbst den bisherigen Rekordhalter Stefan Vinke den Schatten. Hinzu kommt ein kenntnisreiches und sehr engagiertes Spiel des Siegfried, sodass Gesang und Spiel bestens zusammengehen.
Die dritte im Bunde der ganz großen Sängerdarsteller oder besser Sängergestalter dieses „Ring“ war Irene Théorin als Brünnhilde. In ihren jüngeren Jahren war sie mal eine „Brüllhilde“, ich erinnere mich an den „Ring“ in Riga. Sie hat sich aber offenbar mit fortlaufender Zeit tiefer in die Rolle eingearbeitet, geht sie nun viel besonnener und reifer an und findet damit auch ganz neue Facetten in ihrer Interpretation. Théorin singt sie mit einer vollen und wohlklingenden Mittellage, ist zu herrlichen Piani fähig (so in “Ruhe, ruhe, du Gott!“) und verfügt auch über eine gehörige Attacke für die Spitzentöne, die aber auch ultimative vokale Grenzen aufzeigen. Ihr Spiel ist sehr einnehmend und authentisch. Leider hat man ihr in Berlin eine Maske verpasst, die sie optisch zu einer Art Matrone machte, völlig unpassend für den jungen Siegfried von Andreas Schager. Sie wirkte tatsächlich wie seine Tante, die sie ja, de facto, auch ist…
Aber es gab auch noch andere Sterne am Sängerhimmel unter den Linden. Anja Kampe gab wie immer eine emphatische Sieglinde mit engagiertem Spiel, guter Mimik und einem kräftigen Sopran, der die Brünnhilde immer näher kommen lässt. Eine wunderbares Rollenporträt! Simon O’Neill hat einen klangvollen, reinen und unglaublich höhensicheren Tenor, konnte mich aber aufgrund seiner fast völligen Charisma-Freiheit kaum beeindrucken. Wie er mit seinem Schwert vor dem Kampf mit Hunding herumfuchtelte, wirkte doch arg unbeholfen. Dass der Siegmund ein Kämpfer, ja ein Revolutionär ist, vermochte er nicht zu zeigen. Den Froh interpretierte er natürlich bestens, zumal sich der ja kaum bewegen muss. Jochen Schmeckenbecher war wieder der bewährte Alberich, den man von ihm kennt, mit vielen Farben seines bisweilen etwas rauen Bassbaritons, was sich aber im Dialog mit dem Wanderer-Schönsinger Michael Volle im „Siegfried“ als sehr passend erwies. Ein ganz großer Moment war sein Einreden auf den schlummernden Hagen von Falk Struckmann in der „Götterdämmerung“. Dieser hat seinen Fachwechsel zum Bassisten ja nun vollzogen und wartete vom Fafner über Hunding bis zum Hagen mit dunklen, dräuenden und misstrauischen Tönen auf. Ekaterina Gubanova war eine klangschöne Fricka, 2. Norn und „Götterdämmerung“-Waltraute mit charaktervollem Mezzo und als Fricka ebenso schmeichelndem wie aufgebrachtem Spiel im „Rheingold“ als auch nachvollziehbaren, Wotan kompromittierenden Angriffen auf ihren Gatten in der „Walküre“. Roman Trekel gab einen gesangsbetonten Gunther mit lyrischer Note und legte damit auch vokal seine Unterlegenheit zum gefährlichen Halbbruder offen. Anna Larsson, vor einiger Zeit schlicht die Erda der Welt, konnte mit ihren Auftritten als Urmutter immer noch beeindrucken und hat nun an Tiefe und damit Urmutterschaft gewonnen. Denn ihr Mezzo ist immer mehr zu einem Alt geworden. Darstellerisch ist Larsson ohnehin weiter eine Modell-Erda, allein schon mit ihrer stattlichen Größe. Stephan Rügamer sang und spielte einen emsigen Loge und auch den „Siegfried“-Mime, für den er mir etwas zu elegant erschien, den er aber auch gut meisterte. Der erstklassige Mime von Wolfgang Ablinger-Sperrhacke war im „Rheingold“ zu erleben. Etwas überraschend war der Auftritt des legendären Matti Salminen als Fasolt in einer relativ kleinen Rolle. Allein, dass er auftrat, war schon ein Erlebnis, sängerisch merkte man ihm aber doch die Jahre an. Anna Samuil sang zunächst die Freia, was sie noch einigermaßen, obwohl mit leichter Stimme, hinbekam. Als 3. Norn und insbesondere als Gutrune war sie aber weitgehend stimmlich überfordert. Anna Lapkovskaja beeindruckte stimmlich und auch mit ihrem Spiel als 1. Norn und Flosshilde. Evelin Novak als Woglinde und Natalia Skrycka als Wellgunde konnten ebenfalls überzeugen. Serena Sáenz zwitscherte einen klangvoll verführerischen Waldvogel.
Das stimmlich etwas heterogene Walküren-Oktett setzte sich zusammen aus Christiane Kohl (Gerhilde), Vida Mikneviciuté (Helmwige), Anja Schlosser (Waltraute), Natalia Skrycka (Schwertleite), Anna Samuil (Ortlinde), Julia Rutiglinao (Siegrune), Anna Lapkovskaja (Grimgerde) undDshamilja Kaiser (Rossweisse). Der von Martin Wright einstudierte Staatsopernchor sang stimmkraäftig und lebhaft mit einer guten Choreographie von Luc de Wit. Endlich kam er mal nicht mit allen möglichen Waffen oder Bierflaschen und war sogar besser angezogen als die maßgeblichen Herren in der „Götterdämmerung“.
Daniel Barenboim stand für diesen letzten „Ring“ von Guy Cassiers natürlich am Pult der Staatskapelle Berlin. Es begann mit einem viel zu langen „Rheingold“ mit 2 Stunden und 40 Minuten, wo es normalerweise doch in gut 2 Stunden und 25-30 Minuten über die Bühne geht. Viel zu viel wurde gedehnt, und Pausen waren zu lang. Hinzu kam noch die fehlende Spannung von der Bühne mangels einer entschlossenen Personenregie. So blieb nur die Hoffnung auf „Die Walküre“, und da zog der Maestro schon im Vorspiel zum 1. Aufzug gehörig die Zügel an. Es wurde ein musikalisch spannender 1. Aufzug, aber auch die Einleitungen in den 2. und insbesondere in den 3. Aufzug des „Siegfried“ ließen große Dynamik bei guter Transparenz der einzelnen Instumentengruppen hören. Immer wieder zeigten die Bläser, sowohl Blech wie Holz, ihr großes Wagner-Können. Die Wagnertuben erklangen majestätisch, und der Hornrufer blies Siegfrieds Hornrufe perfekt. Zu erwähnen ist auch, dass Barenboim den „Ring“ mit sechs Harfen, wie es Wagner wollte, spielen lässt, in Wien sind es nur zwei. Dass die Musik oft etwas anderes erzählte als auf der Bühne zu sehen war, daran traf Barenboim mit seinen Musikern keine Schuld. Nach jedem Abend kam er mit dem gesamten Orchester auf die Bühne und wanderte beim Einzelapplaus auch die ganze Bühnenbreite vor dem Roten Vorhang ab – nicht gerade Usus im Opernbetrieb an großen Häuser, aber bitte. Trotz aller Wenn und Aber waren es interessante und erfüllende Abende im prunkvoll neu erstandenen Haus unter den Linden.
Fotos: Monika Rittershaus
Klaus Billand / 8.10.2019
10. Oktober 2019 | Drucken
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