Richard Wagner Das Rheingold Deutsche Oper Berlin 16.11.2021
Unterhaltsam frech und vielschichtig startet der neue Ring des Nibelungen in Berlin
In der Esche Stamm stößt Wotan Nothung das Schwert, das er gerade noch aus dem Souffleurkasten gerissen hat. Die Föten der Wälsungen Zwillinge Siegmund und Sieglinde schimmern durch den Blätterhimmel. So endet Rheingold, das Vorspiel zum neuen Ring des Nibelungen von Richard Wagner an der Deutschen Oper Berlin in der Inszenierung von Stefan Herheim. Der Vorschau für das Kommende im ersten Abend der Tetralogie Die Walküre ist wie der Vorspann im Serienfilm. Ungewöhnlich und ideenreich, amüsant revuehaft gefällig ist diese neue Interpretation mit symbolträchtigen bunten Bildern, vielen Koffern und Statisten. Zentrum des Geschehens ist ein begehbarer Konzertflügel, vermutlich als Symbol für den musikalischen Entstehungsort des Werkes. Wieso gerade Mime dann als Richard Wagner Verschnitt diesem entsteigt ist bereits eine der vielen Fragen, die dem aufmerksamen Betrachter kommen.
Der Rhein ist ein Fluß von Statisten mit Koffern, Flüchtlinge, die ihr Heil in diesem Klavier suchen? Die Rheintöchter lösen sich in Alltagskleidung (Kostüme von Uta Heiseke) aus dem Zug. Alberich erscheint im langen deutschen Wehrmachtsmantel mit ungepflegter Mähne und schmiert sich a la Bajazzo noch weisse Schminke ins Gesicht. Wenig prägnant wirkt das lustvolle Ringen, das Rheingold verbirgt sich als Goldschatz in den Flüchtlingskoffern. Strahlend weiss entsteigen die Götter dem Klavier, Ein paar weisse Federn an den Schultern oder auf Wotans Helm wirken wie die göttliche Gebärdensprache komödienhaft. Freias Kostüm trägt die goldenen reifen Äpfel als üppige Brüste. Loge ist eine Parodie auf Faust Mephisto im schwarzen Dress. Die Riesen sind normalo Menschen etwas verkommen in ihren altmodischen Gehröcken. Die Nibelungen erscheinen dann wie zu erwarten in Wehrmachtsmänteln, der Tarnhelm ist ein echter Wehrmachtshelm und der unsägliche Stechschritt mit Hitlergruss rundet wieder einmal den einfallslosen Abklatsch auf das nationalsozialistische Deutschland ab.
Effektvoll verströmt ein großes Tuch über die ganze Bühne gespannt und immer wieder unterschiedlich beleuchtet, angestrahlt oder aufgespannt Leichtigkeit und Aufhellung. Mit einer intensiven handlungsreichen Personenregie untermauert der norwegische Regisseur seine Interpretation des Mammutepos des deutschen Komponisten als Anspielung auf die deutsche Geschichte und deutsches Kulturleben. Das Zusammenspiel Loge und Wotans könnte genauso aus Faust stammen, das göttliche Geplänkel einer Revue aus dem Berlin der Zwanziger. Wenn dann Erda noch als treudeutsche Mutti in strenger Frisur und Brille aus dem Souffleurkasten hochfährt, verstreicht der Abend amüsant gewürzt rasch und unterhaltsam. Freche Parodie in niveauvollen Dosen appetitlich serviert ist Konzept des Abends. Lediglich das mühselige dauernde bis auf die Unterhose Entkleiden der Darsteller hätte unterbleiben können.
Angerichtet wird das Menü aber mit Gefühl und Inspiration im Orchestergraben von Sir Donald Runnicles. Dezent lecht und transparent gestaltet er mit dem bestens aufspielenden Orchester der deutschen Oper Berlin die hochromantische Musik. Vollmundig aber nie überladen, mit Schwung und pointierter Rhythmik fügt sich der Orchesterklang zum Geschehen auf der Bühne und malt dieses erst richtig aus. Trotz bildlicher Reizüberflutung bleibt die Musik dominant im Erlebnis. Die wohl größte Leistung des Abends - dies ist auch den allesamt großartigen Sängern zu verdanken.
Derek Welton ist ein jugendlicher herzhafter Wotan mit fein timbrierter und kräftiger Stimme, der ohne jede Schwierigkeit seine Aufgabe meistert. Thomas Blondelle spielt ihm als Loge bestens zu. Mit dem richtigen Schuss aus perfekter Komik und höchster sängerischer Leistung ziehen die beiden viel Aufmerksamkeit auf sich. Markus Brück gibt zu Beginn seinem Alberich wenig Profil, sein Fluch aber erhält die nötige Schwere und Ausdruckskraft. Ya Chung Huang hämmert im Wagnerkostüm als Mime mit wenig Strahlkraft. Joel Allison als Donner und Attilo Glaser als Froh setzen sich als muntere lebensbejahende Götter bei bester Stimme in Szene. Annika Schlicht darf in dieser Inszenierung als Fricka wenig Charakterbild zeigen, erfreut aber mit ihrem flexiblen farbigen Mezzosopran. Flurina Stuckl müht sich in ihrem geschmacklos dummen Kostüm als Freia unter Wert. Andrew Harris und Tobias Kehrer als Fasolt und Fafner sind wenig mächtig und gehen trotz ihrer wohlklingenden vollen Stimmen in dem bunten Treiben auf der Bühne unter. Judit Kutasi ist eine glaubwürdige Erda mit hoheitsvoller klarer Stimme. Valerila Savinskaja, Arianna Manganello und Karis Tucker erfrischen als gut ausgewogene wortverständliche Rheintöchter.
Viel Jubel und Applaus am Ende im gut besuchten Haus.
Dr. Helmut Pitsch
Photo Deutsche Oper Berlin Bernd Uhlig
20. November 2021 | Drucken
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