Schluss mit Pyramiden, Pharaonen und Elefanten. Alle Stereotypen hat man hinter sich gelassen. Es muss wieder einmal alles anders sein! Ausgangspunkt für die Konzeption der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis „Aida“ an der Pariser Oper m soll offensichtlich das Ungleichgewicht im 19. Jahrhundert zwischen der westlichen Welt und der kolonialisierten sein.Es geht also um Kolonialismus, aber auch um Rassismus, Sexismus… Die üblichen Themen eben, welche heute in aller Munde sind. Sinn ergibt dies während des über dreistündigen Abend, der ohne Publikum gestreamt wurde, kaum. Und so befinden wir uns bei der Inszenierung von Lotte De Beer natürlich nicht in Ägypten und nicht zur Zeit der Pharaonen. Stattdessen finden wir uns irgendwo und irgendwann um die Entstehungszeit der Oper, wofür in erster Linie die Kostüme sprechen. Wobei man sagen muss, dass auch die Ausstattung ständig zwischen verschiedenen Stilen changiert. So spielt der erste Akt während einer Art Vernissage in einem seltsamen Museum mit Vitrinen, gefüllt mit alten Ausstellungsstücken bis hin zum Totenschädel. Diesen wird Radamès später, nachdem er sich mit dem Schwert geritzt hat, mit Blut beträufeln. In Amneris Gemächern sehen wir ihre Hofdamen in Dessous und Strapsen. Hübsch anzusehen, aber stilistisch fragwürdig. Später wird Amneris mit (Todes?) Engelsflügeln ausgestattet. Natürlich gibt es kein Ballett. Natürlich gibt es beim Triumphmarsch keinen Einzug von siegreichen Soldaten, sondern es werden hart am Kitsch vielmehr „lebende Bilder“ arrangiert, nachgestellte Szenen aus historischen Gemälden. Zum Finale sind die Liebenden inklusive Puppe in Katakomben voll Skeletten eingemauert (Ausstattung: Christof Hetzer). Ähnlich verwirrend sind auch die Kostüme von Jorine van Beek: Amneris und Radamès tragen Kostüme des 19. Jahrhunderts, der Sekt-schlürfende Chor in den Belle-Epoque Roben wirkt wie ein kitschiger Hofstaat zur Jahrhundertwende.
Aber die „Königsidee“ der niederländischen Regisseurin, bekanntlich die designierte Intendantin der Wiener Volksoper, ist, dass Aida und Amonasro jeweils von einer lebensgroßen, hässlichen, grauen Marionette gedoubelt werden. Diese müssen von drei, die Atmosphäre der Szenerie sehr störenden Personen in schwarzen Kostümen ständig bewegt werden. Eine dieser muss sogar ständig kriechend deren Beine bewegen. Diesen Puppen müssen auch die singenden Protagonisten, ohne besonders zu spielen und ohne optisch viel Emotionen zu zeigen, folgen. Lächerlich wird das Ganze, wenn Radamés seine steinerne Aida auch noch liebkosen muss. Und eigentlich ist das überhaupt keine neue Idee, wenn man allein nur an den österreichischen Puppenhersteller und Regisseur Nikolaus Habjan denkt oder an Anthony Mingellas Met-Inszenierung von Puccinis „Madama Butterfly“. Eine Idee, deren Sinn sich letztlich auch nicht zu erschließen vermag. Alles in allem ist es ein großes Verwirrspiel ohne großer eigentlicher Personenführung, das Lotte de Beer hier inszeniert.
Wie so oft ist, ist auch diesmal die musikalische Seite viel besser als die szenische: Ein ungemein ausgeruht wirkender Jonas Kaufmann singt die anspruchsvolle Rolle des Radamès überwiegend exzellent. Er phrasiert herrlich, singt kultiviert mit wunderbar lyrischen Tönen. Sein Piano am Ende seiner großen Arie „Celeste Aida“ ist phänomenal. Sehr positive erlebt man die für Elīna Garanča eingesprungene Ksenia Dudnikova als Ameris, die Radamés diesmal extrem anschmachten muss. Sie verfügt über einen satten dramatischen Mezzosopran, der nicht nur kraftvoll und leidenschaftlich, sondern durchaus auch zu schönen Details und Piani fähig ist. Eine der besten Leitungen des Abends bietet Ludovic Tézier als Amonasro mit seinem ausgesprochen schönen und edel eingesetzten Bassbariton. In der Titelrolle zieht Sondra Radvanovsky viele Register ihres Könnens. Sie singt mit Leidenschaft und vielen Fassetten. Auch die Nebenrollen hört man mit hohem Niveau: Dmitry Belosselskiy als kerniger Ramfis, Soloman Howard als Pharao mit sonorem Bass und Roberta Mantegna (Sacerdotessa).
Während der Chor des Hauses (Einstudierung: José Luis Basso) trotz Masken durchweg strahlend und glanzvoll agiert, gelingt es Michele Mariotti am Pult des Orchesters der Pariser Oper nicht immer, die von Verdi geforderten Gegensätze zwischen martialisch und lyrisch zu betonen. Aber es finden sich trotzdem viele stimmungs- und spannungsvolle Momente wie auch Details.
Zum Finale wären die Publikumsreaktionen interessant gewesen!
Dr. Helmut Christian Mayer
20. Februar 2021 | Drucken
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