Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ in Lyon: Ein schmuddeliger, verdoppelter Horrorharem

Xl_blaubart-lyon-4-21-1 © Opera Lyon - Stofleth

Es beginnt und endet mit einem großen Spiegel am Ende eines schäbigen, abgewohnten, grünen Ganges mit sechs Türen. Diese Türen öffnen und schließen sich ständig. Denn drei Frauen, es sind die Verflossenen des Titelhelden, davon ein Transvestit, aber auch zwei ältere und ein schwules Pärchen rennen ständig scheinbar sinnlos herum oder kriechen am Boden. Durch die Drehbühne gibt es immer wieder Einblicke in schmuddelige Räume, etwa in ein grindiges Bad oder in eine völlig verdreckte Küche. Und überall sind Blutspritzer oder großflächig verschmiertes Blut zu sehen. Die frauenverachtende Gewalt, multiple Perversionen und sexuelle Obszönitäten sind allgegenwärtig. Und zum Schluss werden alle außer Judith von ihm mit dem Messer gemeuchelt: So drastisch und horrorartig ist die Sichtweise von Andriy Zholdak auf Béla Bartóks Einakter „Herzog Blaubarts Burg“. Jetzt wurde die Oper im Opernhaus von Lyon im Rahmen des diesjährigen Frühlingsfestivals „Libres Femmes?“ („Freie Frauen“) aufgeführt, wegen Covid19 natürlich ohne Publikum aber dafür gestreamt. Der ukrainische Regisseur Zholdak zeigt die dunkle Geschichte gänzlich ohne Burg in pathologischen und perversen Dimensionen. Neben einer horrorartigen Stimmung, erzeugt er in seiner Inszenierung eine ständige Unruhe mit seltsamen Nebenhandlungen und Aktion, die eher störend, denn sinnvoll wirken. Auch die eigentlich genau beschriebenen Örtlichkeiten sind als solche nicht erkennbar. Aus dem Libretto weiß man, was sich hinter den geheimnisvollen Türen in Blaubarts Burg verbirgt: Es sind eine Folter-, eine Waffen- und eine Schatzkammer. Ein Garten, ein weites Land und schließlich ein See aus Tränen. Eigentlich erst hinter der letzten der Türen befinden sich die drei gefangenen Frauen. Deshalb muss man sich die Orte, die hinter den hier eigentlich nie verschlossenen Türen liegen sollten, in der eigenen Phantasie selbst vorstellen. Vor allem eine Befreiung der anderen eingesperrten Frauen, wie im Libretto vorgesehen, findet wegen ihrer Ermordung nicht statt. Damit aber nicht genug, wird das etwa einstündige Werk gleich zweimal pausenlos hintereinander gezeigt, ein Gewinn daraus lässt sich nicht feststellen. Offenbar konnte sich der Regisseur nicht für eine seiner beiden ausgedachten Versionen entscheiden. Denn der zweite Teil wirkt wie eine schwache Wiederholung des ersten, wobei nur die linke Spielfläche der Bühne bespielt wird, während auf der rechten Seite wiederholende Szenen aus der ersten Version als Projektionen ablaufen.

Musikalisch hingegen gibt es nichts zu mäkeln: Denn Titus Engel am Pult des fabelhaften Orchestre de l’Opéra de Lyon weiß durchaus mit zwei verschieden akzentuierten Lesarten, die beiden Versionen dieser irisierenden, genialen Musik zu präsentieren und diese dunkel funkeln lassen, zuerst eher mit gehobener Dramatik, dann eher klangschwelgerisch.

Eve-Maud Hubeaux ist die Judith des ersten Teils im reizvollen Negligé, mit viel packender Dramatik und schlankem und hellem Mezzosopran. Im zweiten überzeugt Victoria Karkacheva mit warmtimbriertem, leuchtendem Mezzo. Die deutliche darstellerische Wandlung zwischen erstem und zweitem Durchlauf bewältigt der ungarische Bassbariton Károly Szemerédy, der sich mehr und mehr als Frauenquäler, Lustmolch, Fetischist entpuppt und nur im ersten Teil als kaltblütiger Mörder gezeigt wird, vokal und vor allem darstellerisch mit grandioser Präsenz.

Dr. Helmut Christian Mayer

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