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Nicht Römer gegen Gallier heißt bei Vincenzo Bellinis „Norma“, diesmal die Devise, denn Regisseur Vasily Barkhatov siedelt die Geschichte bei der Neuproduktion am Musiktheater an der Wien in einer nicht näher definierten Diktatur der Gegenwart an, in einem detailreichen, harten Realismus. Im Mittelpunkt der Szene steht eine Fabrik im fahlen Neonlicht (Bühne: Zinovy Margolin). Der mächtige Bau erweist sich zwar nicht gerade als Stimmungswunder aber als geeigneter Ort für Massenszenen, der detailreich bespielt wird. Leider fehlt es dem Raum, speziell bei der Anrufung der Mondgöttin in der Arie „Casta Diva“ an magischer Atmosphäre.
Der große, offene Ofen brennt bei offenem Vorhang schon bevor der erste Ton erklungen ist. Früher hat man hier christlich-religiöse Engelsstatuen produziert. Seit der Besetzung dürfen nur noch Büsten eines nicht näher bezeichneten Diktators angefertigt werden dürfen. Trümmer von den Engelsstatuen werden wie Reliquien vom unterdrückten Volk bzw. den Arbeitern in grauen schmucklosen Overalls heimlich verehrt. Norma erweist sich als eine Art Vorarbeiterin. Neben der Wut gegen die Besatzer herrscht aber auch nackte Angst.
Normas Wohnung präsentiert sich als beengter schmaler Raum, wodurch die Heftigkeit der Szene, als das Geheimnis der neuen Liebschaft von Pollione auffliegt, noch verstärkt wird. Diese Szene zählt zu den Höhepunkten dieser Produktion.
Der vorgesehene Feuertod von Norma und Pollione findet beim russischen Regisseur nicht statt, denn obwohl Norma sterben will, reißt sie Pollione im letzten Moment vom Feuer weg, obgleich sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, gerettet zu werden.
Das Außergewöhnliche an dieser Produktion ist aber im Sängerensemble zu finden: Denn es gelang dem Intendanten Stefan Herheim, keine Geringere als Asmik Grigorian für die Titelrolle zu engagieren. Nicht unbedingt ihr Fach, denn bisher erlebte man sie hauptsächlich bei Richard Strauss oder Giacomo Puccini – zuletzt an der Wiener Staatsoper als Titelheldin in „Turandot“ oder im russischen Repertoire. Aber die litauische Sopranistin wollte die Belcanto-Partie als Hommage an ihre Mutter, die Sopranistin Irena Milkevičiūtė singen, die die Partie mehrfach aufgeführt hat, wobei Grigorian damals selbst mit der Mama als eines von Normas Kindern auf der Bühne stand.
Und es ist wieder einmal faszinierend, wie viele Facetten die immer für Überraschungen gute Asmik Grigorian bei ihrem Debüt als Druidenpriesterin aus dieser Rolle herausholt, denn sie ist wie immer eine großartige Singschauspielerin: Einmal furios zürnend, dann wieder still leidend, dann bösartig sarkastisch oder extrem todeswütig. Sie kann in dieser berühmt-berüchtigt schweren Partie ausdrucksstark mit absoluter Perfektion, kraftvoller Dramatik und enormen Temperament wie auch weiträumigen, ausdrucksvollen Kantilenen ebenso punkten wie mit schwebender Leichtigkeit und großer Flexibilität für funkelnde Koloraturen sowie sauberen Spitzentönen. Sie ist einfach eine grandios präsente Bühnenpersönlichkeit.Ganz vortrefflich gelingt ihr die Paradearie "Casta Diva", dass man sich keine Sekunde an große Vorbilder zu sehnen braucht. Ein langfristiger Wechsel ins Belcanto-Fach zeichnet sich aber wohl nicht ab.
Ihr zur Seite: Freddie De Tommaso, wuchtig anzusehen in seinem modernen, dunklen, dreiteiligen Anzug, als untreuer Römer Pollione, mit dem sie zwei Kinder hat, der sich dann aber in Adalgisa verliebt und Norma sitzen lässt. Es ist eine von Bellini sehr undankbar gestaltete Rolle, bei der der italienische Tenor zu Beginn mit enormer Lautstärke auftrumpft, sich dann doch zurücknimmt und letztlich mit schöner Italianità und allen ungefährdeten Spitzentönen singt. Wunderbar klangschön: Die erst 28 Jahre Russin Aigul Akhmetshina als Adalgisa in allen Lagen mit feiner Beweglichkeit und einem dunkel glosenden, wohltönenden Mezzosopran ausgestattet. Tareq Nazmi ist ein profunder, stimmkräftiger und sehr bühnenpräsenter Oroveso. Wunderbar mitleidend erlebt man die treu sorgende Clotilde von Victoria Leshkevich, tadellos singt Gustavo Quaresma den Flavio. Mit diesen Solisten und mit dem wieder exzellent singenden und spielfreudig agierenden Schoenberg-Chor (Einstudierung: Juan Sebastián Acosta) hat das Musiktheater an der Wien der Wiener Staatsoper etwas vorgelegt, das sie erst toppen wird müssen.
Anfänglich hat Francesco Lanzillotta eine zu wenig feinsinnige Lesart der Partitur und einiges ist doch recht derb zu hören. Aber bald präsentieren die Wiener Symphoniker unter dem italienischen Dirigenten die ganze nuancenreiche, wunderbare Schönheit, dieser herrlichen Belcanto-Oper.
Stehende Ovationen!
20. Februar 2025 | Drucken
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