Es ist die tragische Geschichte eines Außenseiters an der Küste Englands, der aus dem Teufelskreis der unerbittlichen, sozialen Ächtung keinen Ausweg mehr findet und letztlich sich mit dem eigenen Boot weit draußen am Meer versenkt: „Peter Grimes“ von Benjamin Britten. Jetzt wurde die Oper an der Wiener Staatsoper wiederaufgenommen. Es ist die von Christine Mielitz stammende und schon einige Jahre nicht mehr gezeigte Inszenierung aus 1996, die auch heute noch von vielen als ihr bester Wurf hier am renommierten Opernhaus in Wien bezeichnet wird.
Präzision in der Personenführung, große atmosphärische Stimmigkeit bei den einzelnen Szenen und eine ungeheure Spannungsgeladenheit zeichnen die Arbeit der deutschen Regisseurin aus. Mit blauem und grünem Neonlicht werden die Bilder umrandet. Starke Bilder erlebt man etwa im Gerichtssaal mit einer grauen, anonymen Masse, wo das umgekommene Kind als bittere Anklage aufgebahrt ist. Oder die Fischer sitzen auf Bootsbänken, die sanft auf und abschaukeln. Oder ein bedrohlich roter Himmel verheißt nichts Gutes (Ausstattung: Gottfried Pilz). Lebendig werden die Massen und die Protagonisten geführt, wobei Mielitz den Titelhelden eher als unglücklichen Außenseiter, denn als Bösewicht zeichnet, der an seinem Lebenstraum durch exzessives Fischen so viel Geld verdienen will, dass er Ellen Orford heiraten kann, scheitert.
Gesungen wird dieser von Jonas Kaufmann. Es ist sein Debüt in dieser fordernden Partie: Er liefert sowohl mit der nötigen Sensibilität bei den feinen Tönen als auch mit allen nötigen Höhen eine unglaublich, expressive und wortdeutliche Rollengestaltung der geschundenen Kreatur ab, die einem nicht kalt lässt. Sein baritonal umschatteter Tenor passt gut zu diesem düsteren Charakter. Sein sanfter Engel heißt Lise Davidsen und genauso singt sie die Ellen Orford auch: Glasklar und samtweich in ihren wunderbaren Lyrismen, sie kann aber auch kraftvoll aufdrehen und zwar so, dass sie mit ihrer gleißenden Soprankraft auch alle Stürme überstrahlt. Die hochgewachsene Norwegerin ist der neue Shootingstar der Opernszene. Man wird von ihr sicher noch viel im Wagner-Fach hören. Bryn Terfel verfügt auch als Kapitän Balstrode, wie immer, über eine enorme Bühnenpräsenz und singt ihn vokaler Wandelbarkeit und hoher Durchschlagskraft. Noa Beinart singt die Auntie ideal. Wolfgang Bankl ist ein stimmgewaltiger, recht gemütlicher Anwalt Mr. Swallow. Von den vielen kleineren Rollen gefallen besonders Thomas Ebenstein als fanatischer Prediger Bob Roles sowie Michael Arivony als kerniger Apotheker Ned Keen, die meisten kleineren Partien sind auch alle adäquat besetzt.
Das Meer rollen und rauschen in den genialen Zwischenspielen des britischen Komponisten hört man spannungsgeladen beim Orchester der Wiener Staatsoper unter der exzellenten und energischen Stabführung von Simone Young. Subtile impressionistische Stimmungsbilder sind ebenso zu vernehmen wie exzessiv ausbrechende und tobende Stürme.
Zum Schluss gibt es für alle Beteiligten einen durchaus verdienten großen Jubel!
Nach dem Ende der Oper wurden Jonas Kaufmann und Bryn Terfel von der Kunst- und der Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer, die auch die Laudatio hielt, und dem Staatsoperndirektor Bogdan Roscic zu Kammersängern ernannt. Simone Young wurde Ehrenmitglied des Hauses. Im Rahmen der Auszeichnung wurde ihr auch der Ehrenring der Wiener Staatsoper überreicht.
Dr. Helmut Christian Mayer
09. Februar 2022 | Drucken
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