Eigentlich wäre ja zu Saisonbeginn die Wiederaufnahme von Jacques Fromental Haléys „La Juive“ geplant gewesen. Aber wegen Erkrankung von gleich zwei Hauptsängern musste die Wiener Staatsoper umdisponieren und so setzte man Georges Bizets „Carmen“ aufs Programm und diese gleich mit einer ausgesprochenen Starbesetzung.
Keine Geringere als Elina Garanča ist für die Titelpartie aufgeboten. Sie singt die Partie mit großer Noblesse, perfekter Technik und vielen Farben ihres dunklen Mezzos, allerdings ziemlich zurückhaltend. Noch zurückhaltender ist ihr Spiel. Hier mangelt es an verführerischer Erotik und so kann die lettische Ausnahmesängerin darstellerisch nicht als jene Frau überzeugen, die allen Männern den Kopf verdreht. Piotr Beczała als Don José, auch mehr Sänger als Darsteller, ist stimmlich in ausgezeichneter Verfassung und mit unerschütterlicher Strahlkraft ausgestattet. Er liefert einen weiteren Beweis seiner Marktführerschaft unter den Tenören. Selbst unter Hochdruck beschert seine Stimme verlässlich Klangpracht. Präzision und Klangschönheit sind wunderbar. Rollendebütantin Slávka Zámečníková muss in die Partie der Micaëla noch etwas hineinwachsen, wiewohl schon viel erweichende Innigkeit bei ihr zu erleben ist. Roberto Tagliavini ist ein sonorer und kerniger Escamillo. Nicht zu vergessen sei der Wohlklang von so manch kleiner Rolle, wie der wuchtige Zuniga von Ilja Kazakov und die prächtige Mercédès von Maria Nazarova Frasquita.Aber auch Isabel Signoret (Mercedes), Carlos Osuna und Michael Arivony (Remendado und Dancairo) sowie Stefan Astakhov (Morales) gefallen. Beeindruckend singt auch der Staatsopernchor, der sich auch durch besondere Vitalität im Spiel auszeichnet.
Yves Abel am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper überzeugt mit Feuer und Tempo. Teilweise stürmt er jedoch allzu sehr mit Eilschritt durch die Partitur. Insgesamt gelingt ihm eine schillernde Umsetzung der Partitur mit vielen farblichen und dynamischen Details.
Über die Inszenierung von Calixto Bieito, die mittlerweile schon 22 Jahre am Buckel hat und schon quer durch Europa gezeigt worden, wurde schon viel geschrieben. Zu sehen ist auf der Bühne ein trostloses Ambiente (Bühne: Alfons Flores). Es gibt kein Sevilla, keine Folklore und kein Ausstattungsglanz. Die Geschichte spielt irgendwann und irgendwo in der schäbigen Pampa, auf einer leer geräumten und immer wieder eingenebelten Bühne mit eher schäbigen Kostümen (Mercè Paloma): Eine Telefonzelle, ein Fahnenmast und mehrere Oldtimer der Marke Mercedes, mit denen gefahren, in denen gesoffen und die aber auch immer bis aufs Dach wieder bestiegen werden, das ist alles. Zudem noch eine im Hintergrund aufgestellte, später umfallende Plakatwand, einen Stier darstellend. Es herrscht Brutalität, auch unter den Soldaten und den Mädchen und zwischen beiden Gruppen. Aber man muss Bielto zumindest attestieren, die Geschichte wenigsten so zu erzählen, so wie sie ist.
Viel Applaus!
Dr. Helmut Christian Mayer
22. September 2022 | Drucken
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