Eiskalt und dunkel wirkt die verschneite Winterlandschaft in den Bergen, die vor dem Einsetzen der Musik als Projektion zu sehen ist. Dazu erklingt ein verfremdetes, exotisch anmutendsn Jodeln: So lässt Barbora Horáková Joly „La Wally“ von Alfredo Catalani am Theater an der Wien beginnen. Dieses selten aufgeführte Musikdrama (Uraufführung: 1892 in Mailand) mit dem ziemlich haarsträubenden Inhalt von einer eigensinnigen-stolzen Tochter eines Dorfdespoten, beruht auf dem mehrfach verfilmten Bestseller-Roman „Die Geierwally“ von Wilhelmine von Hillernund spielt um 1800 im Tiroler Ötztal und den umliegenden Bergen. Es hat jedoch kaum Eingang ins Repertoire gefunden und das obwohl die Hauptfigur in Tirol zur Legende wurde. In Österreich gab es davon zuletzt 2013 in Innsbruck und 2017 an der Wiener Volksoper eigene Produktionen.
Die aus Prag stammende Regisseurin stellt das Stück auf eine felsige, unebene Alpenbühne, vorne mit einem Wassertümpel und immer wieder Projektionen von Tierhäutungen, Wurstproduktion und blutigen Händen. Felsbrocken kullern beim Mord hernieder und begraben Giuseppe Hagenbach. Zum Finale dominiert ein großes Stahlgerüst statt eines Berges die Bühne, auf dem eifrig herumgeklettert wird und in dessen Mitte ein Wasserfall herunterströmt (Ausstattung: Eva-Maria Van Acker). Ein Lawinenabgang, wie im Libretto gewollt, findet nicht statt, denn muss man sich vorstellen. Das Psychodrama über die ausgestoßene Außenseiterin wird immer klar aber manchmal einerseits mit zu viel künstlicher Bewegung erzählt andererseits gerät das Finale zu langatmig. Und die eine oder andere Szene könnte man sich vielleicht noch packender vorstellen. Man bedient sich reichlich an tirolerischen Klischees, viele sind mit Trachten ausstaffiert. Die Männer benehmen sich sehr derb und saufen, die Frauen schälen Kartoffeln, nur unter dem Maibaum wird stimmungsvoll getanzt.
Mit einer der schönsten Arie („Ebben, n’andró lontano“), eine der wenigen Ohrwürmer nimmt Wally am Ende des ersten Aktes ihren Abschied in die Berge. Sie wird von Izabela Matula überragend gesungen, die mit großer Innigkeit aber auch leidenschaftlicher, durchschlagskräftiger Dramatik punkten kann. Ihren uneinsichtigen, bösen Vater Stromminger, der ihr ihre große Liebe verweigert, wird von Alastair Miles etwas zu harmlos dargestellt. Heldisch und höhensicher klingt der Tenor von Leonardo Capalbo als sehr draufgängerischer Giuseppe Hagenbach, der manchmal jedoch allzu sehr die Töne hervorstößt. Seinem Gegenspieler um die Gunst der Liebe zu Wally Vincenzo Gellner verleiht Jacques Imbrailo, mit seinem kernigen, schönen Bariton großes Profil. Fein dosiert hört man Ilona Revolskaya als Walter, Sofia Vinnik (Afra), Zoltán Nagy (Soldat) und den wieder sehr spielfreudigen, homogen und nuanciert singenden Arnold Schönberg Chor.
Catalanis süffige Musik mit differenzierter Harmonik und bewusster Distanz zum Verismo erklingt bei den Wiener Symphonikern unter Andrés Orozco-Estrada feinsinnig, farbenreich, spannungsgeladen und reich an expressiven Ausbrüchen.
Dr. Helmut Christian Mayer
16. November 2021 | Drucken
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