Chicago Symphony unter Riccardo Muti im Wiener Musikverein: Symphonischer Genuss mit Rarem und Bekanntem

Xl_muti-chicago_symphony-wien-1-24 © Helmut Christian Mayer

Es war mit Spannung erwartet worden: Das zweitägige Gastspiel des Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Und die hochgesteckten Erwartungen wurden voll erfüllt, denn es wurde höchste Qualität geboten, was ja auch kein Wunder war, denn Orchester und dessen Chefdirigent (bis 2023) waren ein über Jahrzehnte bestens eingespieltes Team und das konnte man bei jeder einzelnen Komposition feststellen. An beiden Abenden wurde amerikanisch Rares mit europäisch Bekanntem verknüpft.

Vom Minimalisten Philip Glass hörte man eine seiner ganz typischen Kompositionen: „The Triumph of Octagon“, eine Komposition die vom herrlichen „Castel Monte“ in Süditalien inspiriert war und dem italienischen Stardirigenten vom Komponisten persönlich gewidmet war. Es war vielleicht nicht Glass beeindruckendste Tonschöpfung, weil es doch zu gleichmäßig dahinfloss. Aber es wurde von einem reinen Streichorchester mit wenigen Holzbläsern sehr ambitioniert und mit absolut präzisen gespielten Repetitionen wiedergegeben.

Dann lauschte und staunte man über das phantastische Funkeln und chromatische Schillern, das Schwirren und Sausen, das die auch als Solisten in allen Bereichen exzellent agierenden Musikerinnen und Musikern des bestens disponierten amerikanischen Paradeorchester von sich gaben: Igor Strawinskis „L’oiseau de feu“ („Der Feuervogel“), Suite aus dem Ballett, Fassung 1919, wurde mit farbigem Raffinement und reichen, teils extrem geschärften, dynamischen Kontrasten, hoher Transparenz und großer Spannung wiedergegeben. So wurde die auf zwei altrussische Märchen basierende Geschichte vom Prinzen Iwan, der den unmenschlichen Zauberer Kastschej mit Hilfe des feengleichen Feuervogels überwältigt und damit die Befreiung der geliebten Prinzessin erwirkt, wunderbar erzählt.

Richard Strauss erste symphonischer Dichtung „Aus Italien“, einem koloristisch vielfältigen Stimmungsgemälde mit dem Schlagerzitat von „Funiculi, funicula“ zum Finale des ersten Abends wurde ebenfalls wunderbar gestaltet.

Für den riesigen Jubel und den stehenden Ovationen eines restlos begeisterten Publikums gab es dann noch anlässlich des Giacomo Puccini-Jahr das Intermezzo aus der Oper „Manon Lescaut“ als Zugabe.

Zuerst wurde sie bejubelt, dann vergessen und konnte von ihrem Komponieren nie leben. Jetzt erleben aber die Werke der ersten afroamerikanischen Komponistin von klassischer Musik in den USA Florence Beatrice Price (1887-1953), die an die 300, großteils nie veröffentlichte Werke schuf, eine gewisse Renaissance. Ihre 3. Symphonie, die nur ein einziges Mal aufgeführt wurde, beinhaltet konservative Postromantik und Anklänge von Spirituals der Schwarzen. Diese zeigen sich besonders im jazzigen dritten Satz „Juba“, ursprünglich ein Tanz, der von afrikanischen Sklaven in den Süden der USA gebracht wurde. Mit einer fulminanten Wiedergabe dieser Rarität begann der zweite Abend des Gastspiels des Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti im Wiener Musikverein.

Dann konnten die Musikerinnen und Musiker unter dem wieder einmal souveränen und agilen, italienischen Stardirigenten, dem man die 82-Jahre nicht abnimmt, ihre hohe Qualität auch noch bei Sergej Prokofjews groß angelegter und klanglich mächtigster Symphonie, seiner „Fünften“, entstanden im Kriegsjahr 1944 voll ausspielen: Die kraftvolle, reliefartige Melodik, die eigenwillige Harmonik, die russische, melodiöse Urwüchsigkeit wurden mit großer Transparenz, extrem ausgereizter Dynamik, häufigen Farbenwechseln, rhythmischer Präzision und herausragender Virtuosität präsentiert. Besonders das schneidende Allegro marcato aber auch der Schlusssatz faszinierten mit enormer Exaktheit und dem ständigen, mitreißenden Wechselspiel zwischen den einzelnen Instrumenten.

Für den riesigen Jubel und die stehenden Ovationen gab es noch die Ouvertüre aus der Oper „Giovanna d’Arco“ von Giuseppe Verdi als Zugabe.

 

Dr. Helmut Christian Mayer

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