Eine Parabel über die Verführbarkeit der Massen „Ich setze mich auf deinen Schoß, du stiller Todesengel“: Ganz alleine steht sie vor einem Berg von Leichen, liebevoll den abgeschlagenen, in ein Tuch eingewickelten Kopf ihres hingerichteten, geliebten Mannes haltend von Wahnsinn gezeichnet: Es ist ein auch musikalisch ungemein berührender Moment, wenn Lucille innig Abschied nimmt. Dann schreit sie unvermittelt die Worte „Es lebe der König!“ in die Stille. Keine Schergen führen sie ab, sondern der riesige, bühnendominante Kubus öffnet sich zu einem lichtdurchfluteten, weiten Raum, zu einer Art Erlösung! So endet Gottfried von Einems Oper „Dantons Tod“ an der Wiener Staatsoper, wo das Werk anlässlich des 100. Geburtstags des großen österreichischen Komponisten jetzt gezeigt wird. Es war 1947, da wurde diese Oper bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Die Wiener Staatsoper folgte noch im selben Jahr im damals von ihr bespielten Theater an der Wien. Dies machte den damals 29-jährigen Komponisten schlagartig berühmt. Noch während der Nazi-Diktatur 1944 hatte er den Auftrag von der Dresdner Oper erhalten. Gemeinsam mit seinem Lehrer Boris Blacher richtete er den Text Georg Büchners als Libretto ein. Für von Einem war das Werk selbst eine Abrechnung mit „der jüngsten, schrecklichen Vergangenheit“. Er gestand, manchmal geträumt zu haben, selbst Danton zu sein. Josef Ernst Köpplinger sieht die Oper zwar als zeitlos aktuelles, moralische Lehrstück, lässt sie jedoch in der Zeit der französischen Revolution spielen, was aus den historischen Kostümen ersichtlich ist, begreifend, daß eine Aktualisierung die Beispielhaftigkeit des Werkes schwächen würde. Der aus Holzbrettern zusammengezimmerte Kubus ist gigantisch. Die großen Zwischenräume zwischen den Brettern lassen auch immer tolle Lichteffekte zu. Er ist offensichtlich als Metapher für Enge und Gefangenschaft gedacht und beherbergt in der gut 90 Minuten pausenlos gespielten Geschichte die Plätze, Straßen, Gefängnisse und das Revolutionstribunal von Paris (Bühne: Rainer Sinell, Kostüme: Alfred Mayerhofer). Hier liegt jede Menge Müll, wie auch eine umgefallene Kutsche, ein Bett etc. Durch wenige Handgriffe werden immer die neuen, nicht immer klar erkennbaren Schauplätze dargestellt. Auf der Bühne tobt eine, bis in den Chor hinein, filmisch detaillierte und exakte Personenführung mit unzähligen Ideen auch bei den vielen Seitenhandlungen. Ungemein packend ist die Präsenz von Wolfgang Koch als Titelheld: Mit vielen Fassetten von mächtig, polternd bis zweifelnd gibt er ein faszinierendes und zerrissenes Charakterporträts Dantons. Besonders intensiv ist die Szene, wo er vor dem Revolutionstribunal vergeblich um sein Leben kämpft. Als sein Gegenspieler Robespierre verfügt Thomas Ebenstein als frömmelnder Rhetoriker über einen pointierten, schlanken Tenor. Untadelig besetzt sind auch Camille Demoulins mit Herbert Lippert sowie Hérault de Séchelles mit Jörg Schneider und Clemens Unterreiner als schneidender Ankläger. Die leidvollsten Gesangslinien aber auch innigsten Töne kommen von Olga Beszmertna , der Frau von Demoulins, als letztlich dem Wahnsinn verfallenen Lucille. Darstellerisch sehr spielfreudig und sängerisch wuchtig sieht und hört man den Chor der Wiener Staatsoper. Susanna Mälkki am Pult des Wiener Staatsopernorchesters realisiert von Einems tonale Musik mit ihren pointierten Rhythmen und feinen Lyrismen in meist kurzen Sequenzen unter permanenter, erregender Hochspannung. Ein beklemmender Abend, der vom Publikum bejubelt wurde.
Helmut Christian Mayer
08. April 2018 | Drucken
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