Auf einer großen Leinwand wird von einer TV-Reporterin reißerisch die Ankunft des spanischen Königs samt Gefolge angekündigt. Der König erscheint und schreitet über die Feststiege in die Proszeniumsloge. Zusammengebundene Gefangenen werden von Schergen durch die Vorräume und die Gänge geprügelt. Die Ketzerverbrennung des Autodafé wird zum platten Medienspektakel: Diese provokanten Teile der Inszenierung des französischen „Don Carlos“ von Giuseppe Verdi an der Wiener Staatsoper von Peter Konwitschny, die bei der Premiere 2004 noch live in den Räumen des Hauses dargestellt wurden, und zu in einem veritablen Opernskandal ausarteten, regen 16 Jahre später bei der Wiederaufnahme, die jetzt als Stream von einer Vorstellung vom 4.10.2020 gezeigt wurden, kaum jemanden mehr auf. Auch nicht wenn zu der kaum gespielten, entbehrlichen Ballettmusik mit dem Übertitel „Ebolis Traum“ eine völlig unsinnige Slapstickpantomime im trauten Heim mit Blümchentapete gezeigt wird, bei der Carlos als biederer Ehemann der Eboli, Phillip und Elisabeth als Gäste zum Abendessen empfängt und dann Posa wegen der in der Einbauküche verbrannten Gans als Pizzaservice einspringen muss.
Aber abgesehen von diesen bewusst vorgeplanten Provokationen ist Konwitschnys Regie sehr präzise und nachvollziehbar. Die spartanische, weiß-kalte Bühne ist optisch reizlos und radikal ausgeräumt (Ausstattung: Johannes Leiacker). Nur das Notwendigste ist hier zu finden, wie ein einsames winziges Bäumchen, das symbolhaft als kostbare „Pflanze für die Freiheit“ von Karl V. am Bühnenrand gepflanzt wird und den gesamten Abend dort stehen bleibt. Der deutsche Regisseur reduziert die Geschichte von Liebe und Macht auf die handelnden Personen. Die Charaktere werden durchaus subtil mit vielen Details in Blick und Gesten geführt und lassen in jedem Moment überzeugende Durchformungen menschlicher, auch verborgener Beziehungen zueinander erkennen. Da passiert kaum etwas, was nicht im Libretto steht. Die Kostüme sind stilisiert und wirken wie zur Zeit des Geschehens, nur bei den beiden provokativen Einfällen tragen die Protagonisten solche der Jetztzeit.
Was an der französischen, fünfaktigen Urfassung an sich schon besticht, ist ihre bessere Verständlichkeit. Es werden durch das Einbeziehen des Fontainebleau-Aktes keine vorherigen Geschehnisse vorausgesetzt, es gibt keine logischen Brüche oder Sprünge in der Handlung.
Mit sorgfältiger dynamischer Feinarbeit, detailreich, transparent und großer Rücksichtnahme für die Sänger und mit immer wieder markanten Akzenten wird Verdis umfangreiche Partitur inklusive Ballett gespielt. Manchmal jedoch lässt Bertrand de Billy das Orchester der Wiener Staatsoper etwas zu beiläufig und zu wenig spannungsgeladen aufspielen.
Das Ensemble ist überwiegend gut und gespickt mit vielen neuen Namen: So etwa ist Malin Byström eine mädchenhafte, innige Elisabeth du Valois mit reichem, sattem Sopran, die sich aber auch in zarte Regionen hochschwingen kann. Jonas Kaufmann beschert uns einen Titelhelden mit anfänglich nicht immer ganz souveränen Höhen aber bezwingend in seinen weichen Piani voll Schönheit und besonders beim Schlussduett mit Elisabeth mit bezwingender Zärtlichkeit. Igor Golovatenko, auch ein Hausdebütant, ist ein prachtvoll singender Posa, voll Energie und Präsenz, ein wahrhaft edler Kavaliersbariton. Warum die beiden allerdings beim Freundschaftsduett am Boden herumrobben müssen, bleibt unerfindlich. Michele Pertusi gibt einen edlen, hintergründigen aber sehr biederen Phillip II. Es fehlt ihm zudem an stimmlicher Prägnanz. Eve-Maud Hubeaux, ebenfalls zum ersten Mal an der Staatsoper zu erleben, ist eine intensive Darstellerin der Eboli mit wandlungsfähigem Mezzosopran, die auch wunderbar elastisch singt. Imposant ist Roberto Scandiuzzi als Großinquisitor zu hören. Es fehlt ihm jedoch an furchteinflößender Dämonie. Einen feinen Eindruck hinterlässt das noch junge Ensemblemitglied Virginie Verrez bei ihrem Rollendebüt als Thibault. Stimmgewaltig hört man Dan Paul Dumitrescu als Mönch (Karl V) und den gut einstudierten Staatsopernchor.
Reicher Applaus für alle!
Dr. Helmut Christian Mayer
25. November 2020 | Drucken
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