Dukas „Ariane et Barbe-Blue” in Lyon: Wirklich freie Frauen?

Xl_ariane_et_barbe_bleue__lyon © Ma Flores Flo

Es ist eigentlich völlig unverständlich, warum gewisse Opernwerke in eine Vergessenskiste gepackt wurden und kaum mehr aufgeführt werden. Hier gäbe es doch einiges zu wiederzuentdecken und an Opernschätzen zu heben. So ein Schatz ist zweifellos Ariane et Barbe-Bleue“ von Paul Dukas nach dem Libretto von Maurice Maeterlinck. Hier wird das Märchen von Blaubart und die Mythologie der Ariadne verbunden. 1907 in Paris uraufgeführt, wird es von keinem Geringeren als von Alexander Zemlinsky 1908 erstmals in Österreich an der Wiener Volksoper aufgeführt: Und bei diesem Opernschatz erweist sich die Instrumentierung als ungemein schillernd, die Partitur als farbig-satt, der Motivreichtum als originell. Es ist somit ein Werk, das eigentlich jeden Opernliebhaber fesseln sollte, zumal die völlig unterschätzte Oper musikalisch zwischen Wagners „Tristan und Isolde“ und Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ angesiedelt ist. In Österreich gab es in letzter Zeit nach einer konzertanten Aufführung im Wiener Konzerthauses 2006 nur eine szenische Produktion an der Grazer Oper 2018. Jetzt war die Rarität an der Opéra von Lyon im Rahmen des Frühjahrsfestivals „Freie Frauen?“ im Stream zu erleben, in einem Opernhaus, das durch die Intendanz von Serge Dorny zu einem der aufregendsten in ganz Frankreich avancierte.

Und die Musik wirkt noch umso mehr, wenn die musikalische Realisierung so fesselnd ist wie diesmal: Dem Orchester der Opéra de Lyon unter der musikalischen Leitung von Lothar Koenigs gelingt es, in dem durchkomponierten Werk, zu einer ungemein farbigen, schillernden, aber auch transparenten und brennenden Interpretation zu finden, ohne das Werk zu überzeichnen.

Eine wahre Meisterleistung zeigt Katarina Karnéus als Ariane. Sie ist über zwei Stunden ständig auf der Bühne und singt fast unentwegt. Eine Mörderpartie für jede Mezzosopranistin. In jeder Phase der kräftezehrenden Partie ist sie intensiv und fassettenreich. Für Barbe-Bleue selbst hat Dukas nur wenig Musik geschrieben. Diese wird aber von Tomislav Lavoie schönstimmig gesungen, schauspielerisch kommt er mehr zum Einsatz.  Stimmlich gleichermaßen fasziniert ist die Amme La Nourrice, die Anaïk Morel mit großer Intensität darstellt. Auf hohem Niveau hört man die ehemaligen Frauen des Blaubarts mit Hélène Carpentier (Mélisande), Adèle Charvet (Selysette), Margot Genet (Ygraine), Amandine Ammirati (Bellangère) sowie Caroline Michel (Komödiantin). Der mit Masken singende Chor der Opéra de Lyon überzeugt mit Spielfreude und Homogenität.

Maeterlinck ist ein Symbolist, der in Gleichnissen, in Bildern spricht. Seine Dichtungen sind von hoher sprachlicher Schönheit und poetischem Stimmungsgehalt. Die Handlung von „Ariane et Barbe-Bleue“ ist noch mehr auf die innere Handlung gestellt und beinhaltet nur wenige theatermäßig wirksame Szenen. Anders als in Béla Bartóks Oper "Herzog Blaubart" (Uraufführung 1911) steht bei Dukas nicht die Auseinandersetzung zwischen Blaubart und seiner Ehefrau im Vordergrund, sondern eher die Emanzipation Arianes als Frau.

Deswegen versucht Àlex Ollé, einer der Künstlerischen Leiter der vielbeschäftigten Katalanenkollektivs La Fura dels Baus, der handlungsarmen Geschichte gar nicht, das Kryptische zu nehmen, sondern lässt die Geschichte meist etwas verschleiert hinter Glaselementen spielen. Damit betont er das Irreale. Das über die Jahre immer weniger wild spektakelnd und fast brav gewordene Künstlerkollektiv bleibt diesmal sehr dezent und in seinen Tableaus erstaunlich statisch. Außer ein paar Kampfszenen vollzieht sich alles in ruhigen Bewegungen. Ein edler Festsaal mit vielen Stehlampen und goldenen Stühlen an runden Tischen (Bühne: Alfons Flores) sind zu sehen, wobei diese zum Finale zu einer Befreiungspyramide aufgebaut werden. Das Tor zur Freiheit stünde offen. Hindurchgehen müssten sie selbst. Ariane weist ihnen den Weg aus dem düsteren Labyrinth. Doch Blaubarts Frauen, die es auch nicht schaffen, dem Scheusal mit dem Messer zu töten, fehlt letztlich der Mut, das Reich ihres Peinigers zu verlassen. Dies alles kommt in der Inszenierung ideal zur Geltung.

Dr. Helmut Christian Mayer

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