"Elektra" am Stadttheater Klagenfurt: Psychodrama mit archaischer Wucht

Xl_elektra-klagenfurt-9-20 © Arnold Pöschl

Auch für jedes große Opernhaus ist Richard Strauss „Elektra“ eine riesige Herausforderung. Denn man benötigt neben stimmgewaltigen, hochdramatischen Sängern auch ein riesig besetztes Orchester von exakt 108 Musikern. Allerdings nahm der bayrische Komponist auch auf kleinere Theater Rücksicht und hat von dieser Racheoper ebenso eine reduzierte Orchesterversion geschaffen. Umso anerkennenswerter ist es, dass das Stadttheater Klagenfurt sich zur Saisoneröffnung entschlossen hat, dieses Mammutwerk aufzuführen.

Dazu kommt noch, dass diesmal alles anders ist: Um den nötigen Abstand Corona-bedingt zu wahren, sitzt das Orchester auf der Bühne. Die Sänger agieren an der Rampe zum Publikum vor dem Dirigenten, den sie nur auf Monitoren sehen, was koordinationsmäßig nicht immer so einfach ist. Auf diesem schmalen Raum wird auch gespielt. Trotzdem schafft es Cesare Lievi mit seiner detaillierten und ausgefeilten Personenführung, ein packendes Psychodrama der zweieinhalbtausend Jahre alten Geschichte von archaischer, apokalyptischer Wucht und spannender Dichte zu zeigen. Dem italienischen Regisseur, der am Stadttheater schon zweimal inszeniert hat, gelingt es auch, die Seelenzustände dieser zerrütteten Familie offenzulegen. Dabei soll das Orchester den Palast des Agamemnon in Mykene, den Ort des Mordes und der Rache, woher auch immer wieder Auftritte und Abgänge geschehen, symbolisieren. Die riesigen, verschlungenen Rohre davor, die an ein Entlüftungssystem erinnern, die teils aus den Proszeniumslogen hervorquellen, wirken symbolhaft wie eine alles überwuchernde Qualle (Bühne: David Hohmann) und erzeugen mit faszinierenden Lichtstimmungen ein düsteres Endzeitbild. In einem Rohr scheint auch Elektra zu hausen mit einem Fressnapf beim Eingang. Darin hat sie auch ihr Beil, mit dem ihr Vater Agamemnon erschlagen wurde, in einem Koffer versteckt.

Die teils quer vor dem Orchester situierten Rohre bewirken aber auch, dass dieses gedämpfter zu hören ist und erzeugen ein anderes, gewöhnungsbedürftiges Klangbild nicht mit der sonst üblichen Wucht und lassen doch auch einige Feinheiten verloren gehen. Nicholas Carter am Pult des Kärntner Sinfonieorchesters lässt mit packendem Zugriff Richard Strauss geniale Musik brodeln, stöhnen und kreischen. Er weiß auch viele dunkle Emotionen und enorme Spannungsbögen zu erzeugen.

Aber kein kleiner Nachteil ohne großen Vorteil: Denn wegen der Platzierung des Orchesters im Hintergrund, hört man die vortrefflichen Singschauspielerinnen in überwiegend schwarzen, zeitlosen Kostümen (Axel Aust) exzellent und durchwegs sehr wortdeutlich:  Nicola Beller Carbone zeigt die Titelheldin enorm intensiv von Rachegedanken getrieben, mit lebensverneinender Verzweiflung und rennt manchmal wie ein unruhiges Tier nervös herum. Mit kurzen Haaren und in Hosen gekleidet, wirkt sie enorm maskulin. Sie singt die Elektra mit vielen Nuancen, großer Stimmgewalt und allen Spitzentönen, die sie allerdings manchmal etwas zu tief ansetzt. Ihre Lyrismen sind teilweise etwas zu vibratoreich. Ksenia Vyaznikova ist eine Klytämnestra zum „Fürchten“:  Mit exaltierter und expressiver, teils zu lauter Ausdruckskraft in Spiel und Gesang und jedes Wort messerscharf herausschleudernd. Christiane Kohl erlebt man als stimmlich aufblühende, seelisch hin- und her gerissene Chrysothemis mit ungefährdeter Höhe. Seth Carico ist ein profunder, schön timbrierter Orest. Andrew Richards singt den Ägisth ideal. Auch die vielen kleineren Partien sind rollendeckend besetzt.

Großer Jubel und ein toller Einstand für den neuen Intendanten Aron Stiehl!

Dr. helmut Christian Mayer

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