Kaum jemand kennt heute Nicola Vaccai. Dieser lebte von 1790-1848, stammt aus Ancona und ist ein heute vergessener Komponist aus der Blütezeit des Belcantos. Wenn überhaupt, kennt man seinen Namen nur mehr als Verfasser einer Gesangsschule. Zwischen 1815 und 1845 wurden seine 17 Opern (!) in allen großen Städten Italiens herausgebracht, heute sind alle in Vergessenheit geraten.
Diesmal wird bei der 13. Saison der Sommeroper im Amthof in Feldkirchen in Kärnten eine echte Ausgrabung von ihm gezeigt, die seit ihrer Uraufführung im Jahre 1838 nie wieder aufgeführt wurde. So kommt es hier zur österreichischen Erstaufführung seiner völlig unbekannten Oper „Marco Visconti“ von Nicola Vaccai.
Die Geschichte geht auf eine reale Figur zurück: 1280 wurde Visconti in Mailand geboren und dann vertrieben. Als Heerführer kehrt er zurück und erobert seine Geburtsstadt. Exkommuniziert kämpft er jahrelang siegreich gegen papsttreue Truppen. Marco Visconti lässt seinen eigenen Bruder festnehmen und wird von seinem Neffen ermordet. Dieser ebenso machtversessene wie charismatische Mann, inspiriert 1834 den Italiener Tommaso Grossi zu einem historischen Abenteuerroman, der sogar mehrmals verfilmt wurde. Das Libretto von Luigi Toccagni wurde zur Basis von gleich zwei Opern, einer von Errico Petrella und jener von Nicola Vaccai.
Die Oper selbst handelt aber weniger von den militärischen und politischen Erfolgen der Titelfigur, sondern vielmehr von seinen persönlichen (Liebes)Beziehungen und Intrigen: Auf den ersten Blick verliebt sich Marco Visconti in Bice del Balzo, die ihn an seine verlorene Jugendliebe erinnert. Bices Vater Oldrado will sie aber mit Ottorino Visconti verheiraten. Marco Visconti will die Hochzeit verhindern und Bice für sich gewinnen. Aber da beginnt ein weiterer Verwandter, namens Lodrisio Visconti, immer im Schatten des strahlenden Ottorino stehend, gegen die Hochzeit zu intrigieren. Ottorino und Bice haben inzwischen heimlich geheiratet, was Lodrisio aber nicht davon abhält, Bice zu entführen. Marco hingegen hat sich nach langen inneren Kämpfen eines Besseren besonnen, er verspricht Ottorino, ihm seine Braut zurückzuholen. Lodrisio setzt die gefangene Bice unter Druck, aber sie bleibt standhaft bei ihrer Liebe zu Ottorino. Der mittlerweile geläuterte Marco tötet Lodrisio und die Liebenden kommen zusammen.
Wie jedes Jahr hat Ulla Pilz daraus eine eigene deutsche Fassung mit einigen Dialogen geschaffen. Sie führt auch Regie und hat die verwirrende Geschichte statt im Mittelalter als Soap-Oper der 1980er Jahre in heutigen Kostümen mit einfachsten Mitteln detailreich in Szene gesetzt. Da genügen mehrere, verstellbare weiße Elemente, Tisch und Sofa. Und es wird auch sehr hautnah vor und teilweise sogar im Publikum gespielt.
Iza Kopec singt Bice farbenreich, mühelos mit allen Höhen und reinen Koloraturen. Als Titelheld gefällt der blutjunge Samuel Robertson mit höhensicherem, schmelzigem Tenor. Armin Gramer zeigt als Ottorino leider schwer verständlich und teils zu lautstark seinen ausdrucksvollen Countertenor. Johannes Hanel singt den Lodrisio mit markantem Bariton, die beiden sind auch für die Ausstattung verantwortlich. Jens Waldig singt den Oldrado profund.
Vaccais Musik ist einnehmend schön, bester Belcanto mit einigen wunderbaren Arien und Ensembles. Nana Masutani agiert wieder als „Orchester“. Sie spielt fast zwei Stunden Minuten pausenlos am Klavier voll Konzentration, Vitalität und reich an Facetten.
Viel Applaus!
Dr. Helmut Christian Mayer
10. August 2024 | Drucken
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