Selbst ausgesprochene Insider werden heute mit dem Namen Riccardo Broschi wenig anzufangen wissen. Auch zu seinen Lebzeiten (1698 Neapel-1756 Madrid) wurde er nur als jener Komponist wahrgenommen, dessen Opern einzig und allein auf die Person und die einzigartigen Gesangskünste seines Bruders Carlo zugeschnitten waren. Und dieser war kein Geringerer als der berühmte Kastratensänger Farinelli. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Jetzt wollen die Innsbrucker Festwochen mit dessen Oper „Merope“ (Uraufführung: 1732 in Turin) das Gegenteil beweisen, nämlich dass Broschi meisterliche, neapolitanische Opern schrieb mit perfekten und virtuosen Arien für alle Stimmfächer.
Und das Vorhaben ist zweifellos gelungen: Denn Alessandro De Marchi, der eine eigene, ergänzte Fassung erstellt hat, kann beim neugegründeten Innsbrucker Festwochenorchester, das Spezialisten im historischen Musizieren mit Instrumenten vereint, nach anfänglichen kleineren Unstimmigkeiten einen durchgehenden Drive, viele Farben und große Stilsicherheit erzeugen. Und er kann im hochgefahrenen Orchestergraben mit vibratofreien Streichern das unglaublich exzellente Sängerensemble ohne Schwachstellen bestens begleiten.
Selten hört man drei so außergewöhnlich gute Countertenöre, allen voran David Hansen als Epitide, jene Figur, die Farinelli, dem ja ein Stimmumfang von drei Oktaven nachgesagt wird, verkörperte. Er bewältigt die mörderisch schwere Partie mit atemberaubenden Koloraturen, Trillern und Intervallsprüngen mit nur kleinen Einschränkungen mit Bravour. Aber Hagen Matzeit als Licisco und Filippo Mineccia als „böser“ Anassandro wussten ebenfalls mit großer Stilsicherheit zu begeistern. Anna Bonitatibus in der Titelpartie, die mit einer historisierten, prachtvollen, roten Robe, riesigen Halsketten, einem goldenen Sonnenhaarkranz und roten Federn, eben wie eine richtige Königin ausgestattet war, fasziniert mit kraftvollem und nuancenreichen Mezzosopran. Vivica Genaux in der Hosenrolle des Trasimede weiß mit ungemein flexiblem Mezzo und bombensicheren Koloraturen zu begeistern. Auch Arianna Venditelli als entzückende Argia gefällt außerordentlich gut. Kurzfristig wegen Krankheit eingesprungen ist Carlo Alemanno als Polifonte, der von Orchestergraben achtbar singt, während auf der Bühne der Schauspieler Daniele Berardi die szenische Gestaltung übernommen hat.
Es geht, wie so oft bei den antiken Stoffen um Königsmord, Intrigen und Rache, Hass und Liebe: Die ziemlich verworrene Geschichte um die Königswitwe Merope sieht man in stilisierten, geschmackvollen Kostümen in historisierten, bemalten Kulissen mit Säulen (Ausstattung: Stefan Dietrich). Sie wird von Sigrid T'Hofft, die als Spezialistin für historische Inszenierungen gilt, nach überlieferten Tanzbüchern mit alten Gesten inklusive kleinem Ballett, dem Corpo barocco, geschmackvoll in Szene gesetzt.
Warum allerdings noch eigene Ballettmusik von anderen Komponisten der Zeit eingefügt wurde, bleibt unerfindlich. Denn dadurch wurde die ohnedies schon lange Oper auf etwa 5 ½ Stunden gestreckt.
Jubel für einen vielversprechenden Beginn der Festwochen, die am gleichen Vormittag von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein im Schloss Ambras eröffnet wurde!
Dr. Helmut Christian Mayer
09. August 2019 | Drucken
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