Hand aufs Herz, aber welcher Opernliebhaber kennt ehrlicherweise André Messager? Dabei war der französische Komponist, der von 1853 bis 1929 lebte,ein Meister des leichteren Genres im Paris des ausgehenden Kaiserreichs und damals durchaus ein starker Konkurrent Jacques Offenbachs, Und er spielte damals im Opernleben Frankreichs eine wichtige Rolle und führte elementare Neuerungen in den Opernhäusern ein. Der Schüler und Schützling von Gabriel Fauré und in Paris ausgebildet, war überwiegend Dirigent, aber auch Komponist, ein genialer Organisator, der bestens in den Pariser Musikkreisen vernetzt war und später auch Operndirektor wurde.
Messager und Regisseur Albert Carré wurden seinerzeit beauftragt, ein neues Konzept für die 1887 abgebrannte Opera Comique zu erarbeiten, die unter ihrer Leitung 1898 neu eröffnet wurde. Bei Reisen durch Deutschland und Österreich brachte man die hydraulische Bühnentechnik und die elektrische Beleuchtung, die bis dato in Frankreich unbekannt war, mit und ein wirklich festes Ensemble für alle Rollen ihres Faches anstatt rivalisierender Stars. Messager setzte mehr Platz und Mut für Uraufführungen durch, u.a. für „Pelléas und Mélisande“ von Claude Debussy, die er als Musikdirektor und geschätzter Dirigent 1902 natürlich selbst dirigierte. Er gab dem Dirigenten seinen heutigen Platz im Operngraben. Denn seit den Anfängen der Pariser Oper unter Lully stand der Dirigent an der Rampe mit dem Rücken zu den Musikern und legte seine Partitur auf den Souffleurkasten. Dies sorgte für einen Aufstand in dem traditionsbewussten Frankreich, aber Messager wurde trotzdem nach der sehr gelungenen, erfolgreichen Uraufführung von „Fortunio“ 1907 zum Direktor der Pariser Oper ernannt, wo er alle die erwähnten Reformen durchsetzen konnte. Dort dirigierte er den ersten „Ring“-Zyklus, den ersten „Parsifal“ und die französische Erstaufführung von „Cosi fan tutte“.
Seine erfolgreichen Kompositionen, meist typisch französische Operetten und Lustspiele verschwanden aber ab 1945 beinahe vollkommen von den Spielplänen. Es ist also der Pariser Opéra Comique hoch anzurechnen, vor zehn Jahren „Fortunio“ direkt am Uraufführungsort wieder auf ihren Spielplan zu setzen (zum ersten Mal seit 1948). Diese im Dezember 2019 nun wieder aufgenommene Produktion wurde nun kürzlich von Naxos als DVD und Bluray Disc Nr. NBD0119V dankenswerterweise herausgebracht. „Fortunio“, eine durchkomponierte „comédie lyrique“ – also mehr „Oper“ als eine „opéra-comique“ mit gesprochenen Dialogen – ist eine typisch französische Ehebruchskomödie. Das Libretto dafür stammt von Gaston Arman de Caillavet und Robert de Flers, nach dem Theaterstück von Alfred de Musset „Le Chandelier“, das viele Komponisten inspiriert hat. Als Ersten Auber schon 1841. Offenbach komponierte eine „Chanson de Fortunio“ und wollte das ganze Werk vertonen, entschied sich aber dann für „Fantasio“.
Die Geschichte handelt vom jungen, schüchternen Fortunio, der seine Anstellung als Schreiber bei einem Notar erst erstrebenswert findet, als er dessen Frau, die schöne Jacqueline erstmalig sieht. Diese geht jedoch auf die Annäherungsversuche des Frauenhelden Capitaines Claveroche ein.Beide nutzen gegenüber Jacquelines eifersüchtigen Mann, dem Notar André den Schreiber Fortunio als „Chandelier“, sprich „Leuchter“, quasi eine Art Begleiter und Kavalier und als Ablenkungsmanöver. Fortunio schwört Jaqueline, für sie in den Tod zu gehen. Auch dann noch, als er bemerkt, wie er missbraucht wird. Jacqueline ist gerührt und fällt ihm zum Finale liebend in die Arme.
Denis Podalydès belässt die Geschichte in der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Eric Ruf hat dazu feine, einfache Szenerien gebaut, darunter gleich zu Beginn den Promenadeplatz vor der Kirche, den er in eine stimmungsvolle winterliche Atmosphäre taucht und mit gut gekleideten Militärs und der besseren Gesellschaft bevölkert. Man trägt Pelz und kunstvolle Hutkreationen (die eleganten Kostüme stammen immerhin von Christian Lacroix)..Podaydès inszeniert den Wirrwarr so leichtfüßig und liebenswert, mit viel Sinn für Details und die Schwächen der Figuren und einer selbstverständlichen Bewegtheit.
Dirigent Louis Langrée, der sich schon als Musikchef der Oper in Lyon für Messager einsetzte, erreicht im Orchestre des Champs-Elysées viel Raffinement auch in den beinahe Wagnerhaften Gefühlsausbrüchen der großen Liebesgeständnisse des letzten Aktes. Musiziert wird mit richtigem Gefühl für dramatische Tempi, mit subtiler Charakterisierung und einer durch und durch französischen Orchestertransparenz.
Cyrille Dubois singt die Titelpartie des Fortunio mit schön timbriertem, lyrisch leichtem Tenor, der jedoch manchmal an seine Grenzen stößt und spielt den schüchternen jungen Mann ideal. Anne-Catherine Gillet ist Jacqueline mit glasklarem Sopran. Sie spielt jedoch etwas manieriert. Jean-Sébastien Bou singt den Frauenheld Clavaroche profund. Franck Leguérinel ist ein komisch eifersüchtiger Ehemann Maître André. Auch die kleineren Partien sind rollendeckend besetzt. Untadelig singt der Chœur Les Eléments.
Die Aufführung wurde vom Publikum umjubelt.
Dr. Helmut Christian Mayer
23. Dezember 2020 | Drucken
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