Glucks "Orphée et Euridice" in Zürich: Szenisch gescheitert-musikalisch gelungen

Xl_orphee_et_euridice-z_rich-stream-2-21-2 © Monika Rittershaus

Zugegeben, Christoph Willibald Glucks „Orphée et Euridice“ ist handlungsarm: Ein Sänger beklagt den Tod seiner Geliebten so innig, dass ihm die Götter erlauben, sie aus der Unterwelt zurückzuholen. Einzige Auflage: Er darf nicht zurückschauen. Aber aus diesem dramaturgischen Nichts schuf Gluck revolutionäres Musiktheater mit genialer Musik. Und doch scheint diese Handlung offensichtlich für so manchen Regisseur zu einfach zu sein: So auch für Christoph Marthaler, der bei der Neuinszenierung dieser Oper am Opernhaus Zürich seine ewiggleichen Schablonen und Stilmittel verwendet. Und das geht diesmal ziemlich schief.

„Wo sind wir?“, wird gleich zu Beginn gefragt, um dann einige dazuerfundene Dialoge eines Schauspielers mit einem über einen Lautsprecher redenden Mann inklusive einiger Plattitüden über das Jenseits folgen zu lassen. Eine entbehrliche und völlig unverständliche Rahmenhandlung. So wie er, rätseln auch die Zuschauer über den Ort, den sich Marthaler und seine ständige Bühnenbildnerin Anna Viebrock ausgedacht haben. Vielleicht ist es eine Leichenhalle inklusive Krematorium mit schrecklich geschmacklosen Tapeten, an welche beidseitig je ein Kaffeehaus mit einem flimmernden TV-Gerät grenzt. Und darin sieht man ständig ohne Sinn herumgehende Personen. Das sollen wohl die „seligen und unseligen Geister“ sein, die auf der Bühne ihr Unwesen treiben. Und mit diesen erzeugt der Schweizer Regisseur ein künstliches, völlig überflüssiges Bewegungstheater: Da wird sinnlos herumgerannt, eine Urne ständig weitergereicht, mit dem Lift (beim Öffnen der Lifttüre gibt es immer wieder Probleme) wird in die Unterwelt gefahren. Die Personen verrenken sich ständig, zucken krampfartig, fallen immer wieder tot um, um dann wieder zum Leben erweckt zu werden. Es sind lauter entbehrliche Banalitäten und müde Versuche vermeintlich Witziges hinzuzufügen mit vielen weiteren, schwer erschließbaren Merkwürdigkeiten.

Aber Glucks genialer Musikatem, hier in Bearbeitung von Hector Berlioz, ist viel länger als jener von Marthaler. Sein Nonsens läuft ins Leere. Außerdem zeigt die Kameraführung viele zu viele Details von seltsamen Nebenhandlungen und Bewegungen, die nicht zusammenpassen, wohingegen die Sänger eigentlich ziemlich statisch agieren. All dies hat nur am Rande etwas mit der tragischen Liebesgeschichte von Orpheus und Euridike zu tun, weshalb man sich immer mehr auf die drei Sängerinnen konzentriert.

Und diese sind wahrlich famos: Allen voran Nadezhda Karyazina als Orphée. Toll, wie sie immer neue Klagen differenziert anstimmt und mit ihrem tiefen und volltönenden Mezzo anrührend ihr Schicksal besingt und die Götter um Gnade anfleht. Für einen solchen beeindruckenden Mezzo hat Hector Berlioz seinerzeit die Gluck'sche Oper umarrangiert – für die damals in ganz Europa gefeierte Pauline Viardot. Auch Chiara Skerath Euridice fasziniert mit ihrem klaren und anrührenden Sopran. Alice Duport-Percier gibt einen glockenhellen Amor.

Stefano Montanari, ein Alte-Musik-Experte, dirigiert die Philharmonia Zürich mit Stil und Eleganz, schlankem Klang, überaus mitreißend und fassettenreich und bringt Glucks klare Melodieführung in ihrer schlichten Schönheit so wunderbar zur Geltung. Erstaunlich allerdings, dass man auch ohne Publikum daran festhält, das Orchester und den wohltönenden Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) im Proberaum spielen zu lassen, und den Klang nur mittels Übertragung auf die Bühne gelangen zu lassen.

Dr. Helmut Christian Mayer

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