Man kann sich immer wieder nur wundern, warum gewisse Werke in der Literatur des Musikdramas zu einem derartigen „Dornröschenschlaf“ verdammt sind und unverständlicherweise kaum aufgeführt werden. So ein Fall ist zweifellos „Ariane et Barbe-Bleue“ von Paul Dukas nach dem Libretto von Maurice Maeterlinck, wo das Märchen von Blaubart und die Mythologie der Ariadne verquickt wird. Das 1907 in Paris uraufgeführte Werk, das von keinem Geringeren als Alexander Zemlinsky 1908 erstmals in Österreich an der Wiener Volksoper aufgeführt wurde, strotzt nämlich nur so vor schillernder Instrumentierung und einer ungemein farbig-satten Partitur sowie originellem Motivreichtum, was eigentlich alles zusammen jeden Opernliebhaber fesseln sollte. Das Werk ist eine völlig unterschätzte Oper, die musikalisch zwischen Wagners „Tristan und Isolde“ und Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ angesiedelt ist. So ist es nach einer konzertanten Aufführung im Wiener Konzerthauses 2006 nunmehr der Grazer Oper zu verdanken, dass dieses Werk wieder einmal zu einer Aufführung kommt.
Maeterlinck ist ein Symbolist, der in Gleichnissen, in Bildern spricht. Seine Dichtungen sind von hoher sprachlicher Schönheit und poetischem Stimmungsgehalt. Die Handlung von „Ariane et Barbe-Bleue“ ist noch mehr auf die innere Handlung gestellt und beinhaltet nur wenige theatermäßig wirksame Szenen. Anders als in Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ (Uraufführung 1911) steht bei Dukas nicht die Auseinandersetzung zwischen Blaubart und seiner Ehefrau im Vordergrund, sondern eher die Emanzipation Arianes als Frau.
Deswegen versucht die jüngere Berliner Regisseurin Nadja Loschky, die in der eigentlich sehr handlungsarmen Geschichte mit psychologischer Feinzeichnung punktet, erst gar nicht, das Kryptische zu enträtseln sondern betont das Irreale und schickt die Figuren durch einen magischen Gespensterreigen. Die fünf eingesperrten Frauen entwickeln keine Individualität, sondern sind optisch in Kostümen Abbilder von Ariane, die verschiedene Fassetten ihrer selbst verkörpern. Blaubart lässt sie stets präsent sein, meist nur als Schatten. Dieser Kunstgriff sorgt durchaus für Spannung auf der Bühne und es gelingen dem Leading Team spannende und beeindruckende Bilder in teils langsamen, traumhaften Bewegungen. Weit mehr als ein Blickfang ist dabei das schräge, sich immer wieder drehende Rund, eine Scheibe und die monochromen Kostüme der Ausstatterin Katrin Lea Tag.
Fesselnd ist zweifellos auch die musikalisch exzellente Realisierung. Da ist einmal das Grazer Philharmonische Orchester, das unter dem umsichtigen Roland Kluttig, GMD von Coburg und ein feiner Klangverwalter, zu einer ungemein farbigen, schillernden, aber auch transparenten und brennenden Interpretation findet, ohne das Werk zu überzeichnen. Die Musik dieser Oper ist so mystisch, wie es die Dichtung erfordert aber doch nicht so wie bei Debussy. Sie ist realer, die Farben sind leuchtender und brennender, die Melodien länger und sinfonischer Entwicklung fähig. Ein seltsames Stück von höchster Meisterschaft und Noblesse, das großartig interpretiert wird.
Da sind schließlich Sänger und vor allem Sängerinnen am Werk, denen allen uneingeschränkt ein Pauschallob gebührt. Allen voran eine grandiose und alle überragende Manuela Uhl, eine Titelheldin, die auch den Löwenanteil zu singen hat: In jeder Phase der kräftezehrenden Partie ist sie intensiv und fassettenreich. Umspielt von den Schatten der Vergangenheit scheint sie die Geschehnisse auf einer anderen Ebene zu erleben als die anderen Charaktere. Auch Iris Vermillion Alt als La Nourice (Amme) strömte ebenso prächtig in den Saal. Für Barbe-Bleue selbst hat Dukas nur wenig Musik geschrieben. Diese wird aber von Wilfried Zelinka schönstimmig gesungen. Und auch die ehemaligen Frauen des Blaubart sind mit Anna Bruhl (Sélysette), Yuang Zhang (Bellangére), Sonja Saric (Ygraine) und Tatiana Miyus (Mélisande) allesamt ideal und makellos besetzt. Auch im Chor des Hauses (Einstudierung: Bernhard Schneider) funktionierte alles bestens. Starker Beifall und viel Jubel!
Helmut Christian Mayer
11. März 2018 | Drucken
Kommentare