Graz: „Der Bürger als Edelmann“ von Moliere/Lully mit einem tiefen Griff in die Klamottenkiste

Xl_b_rger_als_edelmann-breyvogel_u_a_-_c-barbara-palffy-graz-4-24 © Barbara Palffy

„Der Bürger als Edelmann“ (Originaltitel: “Le Bourgeois gentilhomme” ist ein spartenübergreifendes Gesamtkunstwerk, das Gesang, Schauspiel und Tanz vereint. Die Ballett-Komödie war der Höhepunkt der Zusammenarbeit des damaligen Dream-Teams Jean-Baptiste Molière und Jean Baptiste Lully und wurde 1670 im prächtigen Loire-Schloss Chambord vor Ludwig XIV. und seinem gesamten Hofstaat in einer extrem prunkvollen Ausstattung uraufgeführt.

Es erzählt vom reichen Monsieur Jourdain, der den Lebensstil eines Aristokraten pflegt, nur ein Titel fehlt ihm noch. Seiner Tochter Lucile hat er den Kontakt zu ihrem bürgerlichen Geliebten Cléonte verboten. Als Jourdain erfährt, dass ein zukünftiger Monarch Interesse an Lucile hat, willigt er in die Ehe seiner Tochter mit dem verkleideten Cléonte ein. Als die Maskerade auffliegt, ist die Hochzeit bereits vollzogen.

DasStück dient Nestroy-Preisträger Matthias Rippert nur als Vorlage. Denn in dieser Koproduktion des Grazer Opernhauses mit dem Grazer Schauspielhaus, als letzte Produktion der heurigen Spielzeit, jongliert der junge, aus Heidelberg stammende Regisseur, abgesehen von massiven Textänderungen - für die Übersetzung der französischen Sprechtexte ins Deutsche zeichnet Hans Magnus Enzensberger verantwortlich - mit einer Fülle von Ideen und Gags zwischen völlig überzogenem Klamauk und ermüdenden Längen. Er zeigt die absurdkomische Geschichte mit teils platten Sprüchen, wobei er einige Figuren breiten Dialekt auf Steirisch, Fränkisch und Vorarlbergerisch sprechen lässt, auf leerer Bühne (Fabian Liszt), wo auch das Orchester situiert ist, vor einer riesigen Holzmuschel.  Die Kostüme sind zuerst spartanisch schwarz (Johanna Lakner), die zum Finale, wie für einen Faschingsumzug kreiert, immer verrückter werden. Diese gesamte Ernennungszeremonie in einer eigenen Fantasiesprache wirkt überhaupt lächerlich und nicht endendwollend.

Herr Jourdain, den einst Moliere selbst gegeben hat, wird von Tim Breyvogel gespielt, bei dem, obwohl alle Protagonisten mit Headsets ausgestattet verstärkt wurden, nur anfänglich nicht jedes Wort versteht. Er ist für diese Rolle aber die perfekte Besetzung, wirkt bewusst unsympathisch, agiert immer sehr agil und nuancenreich, versteht auch den Rhythmus der Komik und kann auch seinen Bühnenpartnern die Bälle zu zuwerfen. Auch die anderen sieben Schauspieler, die meist mehrere Rollen innehaben, agieren tadellos: Karola Niederhuber, eine meist brüllende und hysterische Madame Jourdain, ist auch als Musiklehrer zu erleben. Otiti Engelhart ist ihre quirlige Tochter Lucile, sie spielt auch anfänglich den Tanzlehrer. Mario Lopatta ist ihr Verlobter Cléonte, der sich als junger Kaiser verkleidet – genau die Rolle, die seinerzeit der Komponist Lully spielte. Die freche Hausangestellte Nicole, sie spielt auch die Kompositionsschülerin, wird von Luiza Monteiro ideal verkörpert. Oliver Chomik ist ihr Verlobter, Diener von Cléonte und auch noch der fesche Fechtmeister. Franz Solar spielt den Philosophieprofessor, wie auch sehr nobel den Grafen Dorante, der das Geltungsbedürfnis von Monsieur Jourdain schamlos ausnutzt, um mit dessen Geld der Marquise Dorimène (Luisa Schwab) den kostspieligen Hof mit teuren Diamanten zu machen. Philipp Imbach agiert gekonnt gleich in vier Rollen: als Diener, Tänzer, Orchestermusiker sowie schneidernder „Schrittschnittspezialist“.

Beim Sängerensemble gefällt allen voran Anna Brull mit reicht schattiertem, flexiblem Sopran. Weiteres Highlight ist der mit ausgesprochen schönem Timbre ausgestattete Tenor von Sebastian Monti, der auch einmal bei einer Arie vom Himmel schwebt. Profund und sehr präsent singt Wilfried Zelinka den Oberpriester. Ziemlich mulmig klingt hingegen Markus Butter. Gut singen auch: Franz Gürtelschmied und Euiyoung Peter Oh. Recht anschaulich ist die Choreographievon Louis Stiens, die von fünf jungen Tänzerinnen und Tänzer sehr graziös umgesetzt wird.

Am Pult der naturgemäß klein besetzten Grazer Philharmoniker steht mit Konrad Junghänel ein ausgewiesener Spezialist für die Musik des französischen Barocks. Da wird schwungvoll und stilsicher musiziert. Der deutsche Dirigent weiß der mitunter etwas steifen Tanz-Musik von Jean Baptiste Lully (mit etwas ergänzenden Kompositionen von Robert C. A. Pawliczek) nicht nur Frische, sondern auch betont viel Poesie einzuhauchen.

Beim Publikum scheint es uneingeschränkt gefallen zu haben, es jubelte lautstark!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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