Dreißig Jahre sind vergangen. Der Sohn von Butterfly und Pinkerton ist erwachsen geworden. Er betreibt Spurensuche in einem Museum, in welchem Schaukästen mit Erinnerungsstücken seiner Mutter, wie ihr Hochzeitskimono aber auch eine Samurairüstung und Schwerter sowie die Figur der zwölfarmigen Kannon, einer mitfühlenden Gottheit ausgestellt sind und Porträts an den Wänden hängen. Und er wird immer mehr von seinen Erinnerungen, dem Erlebtem, Verdrängtem, Ersehntem übermannt und als omnipräsenter Beobachter in die ganze tragische Geschichte hineingezogen: Diese nicht unbedingt notwendige Idee hat sich Floris Visser für die Neuproduktion von Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ erdacht, die erst jetzt pandemiebedingt nach zweijährigen Verschiebungen am Grazer Opernhaus Premiere hatte. Allerdings nervt das theatralisch überzogene Händeringen und wiederholte Zusammenbrechen des erwachsenen Sohnes (Stephan Offenbacher) immer mehr und erscheint ziemlich entbehrlich, wie auch der plakative, riesige herabsinkende Schmetterling samt Riesennadel zum Aufspießen. Nicht unästhetisch, aber sehr kühl ist der Museumsraum, dessen Mauern und Zinnen festungsartig wirken. Dessen Wände werden immer wieder von Wärtern in Uniform verkleinert und erzielen dadurch eine beengende Wirkung so wie die Gefühle der Protagonisten (Bühne: Gideon Davey). Im eigentlichen Plot hingegen lässt der niederländische Regisseur in seiner klaren Personenführung viel mitreißende Emotionen und Details in geschmackvollen Kostümen (Jon Morrell) zu.
Vor allem dann, wenn er eine Titelheldin wie Marjukka Tepponen im Ensemble hat. „Addio, addio“: Schluchzend und mit Tränen erstickter Stimme nimmt die unglückliche Cio-Cio-San Abschied von ihrem Kind, bevor sie sich selbst mit einem Dolch tötet. Das Publikum tief zu berühren weiß die 38-jährige Finnin, die die Rolle auch schon an der Met gesungen hat, aber nicht nur in dieser Schlussszene. In einer weiten Gefühlspalette vermag sie Innigkeit, Naivität, Freude wie auch Verzweiflung hinreißend und höhensicher auszudrücken. Mykhailo Malafi als leichtfertig mit den Gefühlen spielender Pinkerton kann da nicht mithalten, schauspielerisch wäre noch Luft nach oben gewesen. Der Ukrainer singt ihn zwar mit angenehmem Tenor aber zu wenig Volumen. Neven Crnic ist ein kerniger Sharpless, Mareike Jankowski eine kraftvolle Suzuki, Manuel von Senden ein schmieriger und unsympathischer Heiratsvermittler Goro.
Der junge Budapester Dirigent Gábor Káli, er gewann 2018 den „Salzburg Festival Young Conductors Award“, vermag bei den Grazer Philharmonikern auch große Leidenschaft und viele Farben zu verströmen.
Großer Jubel!
Dr. Helmut Christian Mayer
19. Oktober 2022 | Drucken
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