Von Jacques Fromental Halévy kennt man bestenfalls noch „La juive“, „Die Jüdin“, die eine der meistgespielten Opern des 19. Jahrhunderts war. Aber auch um dieses Werk des Komponisten wurde es bald still. Am Opernhaus Zürich wurde 2008 ein Anlauf zu einer Renaissance der Werke des französischen Komponisten gemacht und zwar mit einer noch größeren Rarität, nämlich mit der Oper „Clari“. Doch wer kennt seine frühe Oper „Clari“ überhaupt, die halb Rührstück, halb Opera buffa ist.
Gerade 20 Jahre war Maria Malibran alt, die später zur bestbezahlten Sängerin im frühen 19. Jahrhunderts wurde, als Halévys frühe Oper „Clari“ am Italienischen Theater zu Paris uraufgeführt wurde. Trotz des Achtungserfolgs nach dieser Uraufführung 1828, nicht zuletzt dank Maria Malibran in der Titelpartie, konnte sich das Werk nicht durchsetzen und verschwand nach wenigen Aufführungen vom Spielplan. Das Ende des Dornröschenschlafs nach rund 180 Jahren verdankt „Clari“ eigentlich Cecilia Bartoli. Denn die Ausnahmesopranistin führte zu dieser Zeit an verschiedenen Orten ein Programm zur Erinnerung an Maria Malibran auf und entdeckte dabei dieses Werk, das von den Anforderungen wie geschaffen war für sie. In Paris hat sie die Partitur aufgestöbert und zusammen mit dem Musikologen Martin Heimgartner eine kritische Fassung davon erstellt. Diese erklang nun erstmals nach 180 Jahren 2008 wieder in einem Opernhaus, nämlich in Zürich wurde jetzt 2021 wieder von der Züricher Oper gestreamt.
Der Plot handelt vom naiven Bauernmädchen Clari, das sich in einen reichen Grafen und Kunstmäzen Melvilla verliebt. Bei einem Treffen in seinem Salon kommen ihr jedoch während einer Theateraufführung seiner Bediensteten Selbstzweifel und Gewissensbisse. Sie zuckt vor versammelter Gesellschaft aus und zieht so den Zorn des Mäzens auf sich. Nach einem Spitalaufenthalt kehrt sie beschämt auf den Bauernhof ihrer Eltern zurück und will den Vater, der wegen ihrer Aktion am liebsten Selbstmord begehen möchte, um Vergebung zu bitten. Doch erst als der der Graf, der sich unterdessen seiner Liebe zu Clari bewusst geworden ist, wieder auftaucht, und ihrem Vater einen Geldkoffer schenkt, kann es nur noch ein Happy End geben.
Cecilia Bartoli singt diese halb sentimentale, halb hochvirtuose Partie wunderbar: Die extrem diffizilen Koloraturen perlen klar und sauber, anrührend klingen ihre warm timbrierten, tieferen Lagen. Ihre flexible Stimme meistert die beinahe drei Oktaven umfassende Tessitura mühelos. Deren Herzstück, die Sopran-Kavatine „Come dolce a me favelli“, gelingt ihr phänomenal effektsicher. In den beiden eingeschobenen Arien und Kavatinen aus Rossinis „Otello“ und aus Halévys „Tempesta“ kann Bartoli zusätzlich brillieren.
Der amerikanische Tenor John Osborn singt den vermögenden Adeligen, einen Duca, der sich anfänglich mit geöltem Haar und kurzer Hose im Tennisgewand präsentiert, stilsicher und mit geschmeidiger, wohl timbrierter Stimme. Die Österreicherin Eva Liebau bezaubert als Bedienstete Bettina, mit ihrem glockenreinen, lieblichen Sopran, insbesondere mit ihrer wunderbar gesungenen Canzonetta im zweiten Akt. Oliver Widmer als Germanound Giuseppe Scorsin überzeugen als Solisten in der Dienerschaft und Schauspieltruppe. Carlos Chausson ist Claris herrlich polternder Vater, der Bauer Alberto, voller Selbstmitleid. Seine dem Schnapsfläschchen nicht abgeneigte Gattin Simonetta wird von Stefania Kaluza sehr resolut dargestellt.
Ádam Fischer leitet das aus den Reihen des Opernorchesters rekrutierten, auf historische Spielpraxis spezialisierten, stilvoll musizierende Ensemble „La Scintilla“ der Oper Zürich und den von Jürg Hämmerli genau einstudierten Chor des Hauses mit viel Schwung und sprühendem Charme.
Das belgisch-französische Duo Moshe Leiser und Patrice Caurier, mit denen Bartoli schon über Jahre immer wieder zusammenarbeitet, lässt die Handlung in die Gegenwart spielen. In einer schicken, bunten Designerwohnung des Herzogs mit teuren Kunstwerken (Bühne: Christian Fenouillat) feiert eine überkandidelte Geburtstagsgesellschaft in ihren überzogenen Kostümen von Agostino Cavalca Geburtstag inklusive einer Theateraufführung. Nach dem Warteraum des Krankenhauses wird es mit einem Bauernhof als Kontrast sehr ärmlich und ländlich. Mit vielen Details, sprühenden Ideen und bewussten Überzeichnungen wird augenzwinkernd das Amüsante und Komische der Handlung herausgearbeitet. Und schließlich geht es dann in der ziemlich verdreckten Familienlimousine ab in die Flitterwochen.
Dr. Helmut Christian Mayer
14. April 2021 | Drucken
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