Händels Oratorium „Belshazzar“ szenisch am Theater an der Wien Die Macht des Wassers

Xl_belshazzar-werner_kmetitsch-h_ndel-wien-2-23-2 © Werner Kmetitsch

Sympathisch ist er nicht. Nein, im Gegenteil ein echtes Ekelpaket ist dieser „Belshazzar“. Noch dazu ist er ein selbstverliebter, egoistischer, hemmungsloser Sadist, der Frauen mit Gewaltaktion quält und zu Sexhandlungen zwingt.  Außerdem neigt er zu Alkoholexzessen und liebt wilde Orgien. Und er kann sich das alles leisten, denn er ist immerhin König von Babylon und hat das jüdische Volk versklavt. Zudem ist auch Herrscher über ein Wassermonopol, denn der Fluss Euphrat fließ direkt durch die Stadt. Und um letzteres von Anfang an sichtbar zu machen, rinnt Wasser in Strömen bereits beim Einlass mittels Projektion am Vorhang herunter. Während die Umwelt bei höchsten Temperaturen nach Wasser dürstet, foltert er andere Menschen oder präsentiert dekadent und extrem mediengeil bei seinem eigenen Royal TV-Sender seine neuesten Songs. Aber er hat nicht nur seine Mutter Nitocris, die vom Propheten Daniel zum jüdischen Glauben bekehrt wurde und ihn immer wieder allerdings vergeblich von seinen Exzessen abhalten will, zum Gegner sondern auch Cyrus, den Perserführer. Dieser wird wie ein Klimaaktivist dargestellt. Er belagert nicht nur die Stadt, sondern leitet letztlich den Fluss um und erobert so durch das ausgetrocknete Flussbett die Stadt. Der Titelheld kommt aber nicht im Zweikampf mit Cyrus zu Tode, sondern wird von seiner eigenen Mutter erstochen.

Marie-Ève Signeyrole hat dieses späte Oratorium „Belshazzar“ von Georg Friedrich Händel, das 1745 in London uraufgeführt und vom damaligen Publikum abgelehnt wurde, eine Produktion des Theaters an der Wien im Ausweichspielstätte des Museumsquartiers in dieser Sichtweise und sehr aktuell inszeniert. Und man merkt in jeder Szene, dass sie vom Film kommt. Denn nahezu ständig sind im obersten Segment der dreigeteilten Bühne (Fabien Teigné) Nahaufnahmen von zwei Live Kameras zu erleben. Da sieht man in unmittelbarer Nähe die Gefühle nicht nur der Protagonisten, sondern auch einzelner Chormitglieder in deren Gesichtern aus neuen Blickwinkeln. Gleichzeitig kann man dies auch alles in der Totale in der Mitte erleben. Der untere Bereich, in welchem sich auch das Orchester befindet, ist für die heranrückenden Perser reserviert. Doch mit den heute fast schon bei jeder Produktion üblichen Videoprojektionen werden auch diesmal wieder die Augen nicht nur vom allgegenwärtigen Wasser, sondern auch davon wieder einmal völlig überflutet. Es kommt so zu einer wahren Bilderflut, die den Zuschauer schlichtweg optisch überfordert.

Die orchestrale Realisierung ist bei Christina Pluhar in guten Händen: Denn das von ihr begründete Ensemble L’Arpeggiata, ein auf Alte Musik spezialisierter und auf historischen Instrumenten musizierender Klangkörper weiß sehr exakt und klangschön zu spielen. Was jedoch fehlt, sind etwas rauere, kantigere Akzente und mehr rhythmische Straffheit. Alles wirkt recht weichgezeichnet. Weich und sehr homogen singt auch der Arnold Schönberg Chor (Einstudierung: Viktor Mitrevski).

Jeanine De Bique als Nitocris, Mutter des Titelhelden und Wüstlings führt das Ensemble qualitativ an. Stets in edlen Roben gekleidet(Kostüme: Yashi), hochgewachsen, schlank verkörpert sie eine wahre Königsmutter und singt mit klarem, manchmal etwas kühlem Sopran. Sie hat nicht nur ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem Sohn, sondern turtelt auch mit dem Propheten Daniel herum, der von Eva Zaïcik, sie ist eine Art Biotechnologin, mit wunderbarem Alt gesungen wird. Obwohl mit Mikroport ausgestattet fehlt es Vivica Genaux als Cyrus an stimmlicher Substanz, ihre Koloraturen gefallen aber. Kraftvoll und edel ist der Bass von Klemens Sander, der sehr kurzfristig für den erkrankten Michael Nagl eingesprungen ist, als verzweifelter, zu den Persern übergelaufener Gobrias, dessen Sohn von Belshazzar brutal gefoltert und ermordet wird. Er singt ihn von der Seite, während ein Dramaturg ihn auf der Bühne spielt. Belshazzar wird von Robert Murray im Glitzermantel oder blumigem Anzug darstellerisch bis zur Selbstentäußerung lustvoll böse, fulminant als expressiver Singschauspieler gegeben und singt ihn sehr höhensicher.

Viel Applaus!

Dr. Helmut Christian Mayer

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