Es war am 20. Dezember 1993, da bescherte die Premiere von „Les Contes d’Hoffmann“ von Jacques Offenbach der Wiener Staatsoper einen Riesenerfolg. Placido Domingo sang die Hauptrolle, Natalie Dessay war Olympia, Barbara Frittoli war Antonia, Bryn Terfel verkörperte die Bösewichter. Aber nicht nur das exzellente Sängerensemble ließ die Neuproduktion zum Ereignis werden, sondern auch die fantasievolle, detailreiche Ausstattung von Richard Hudson und die intelligente Inszenierung von Andrei Serban. Diese Produktion wurde mit großem Erfolg, von Publikum und Kritik geliebt und gelobt, im Haus am Ring bis 2008 gezeigt.
Nach einer Neueinstudierung 2014, wobei der rumänische Regisseur wiedergewonnen werden konnte, diese selbst aufzufrischen, kam es auch im September 2019 zu einer Reprise, die jetzt im Stream der Wiener Staatsoper gezeigt wurde. Und siehe da, die Verjüngungskur hat ihr wohlgetan, die Klasse von damals, der fantastische Ideenreichtum und die Lebendigkeit können auch heute noch punkten.
Üppig, opulent, bildmächtig, gespenstisch, fantasievoll bevölkern Retro-Spukwelten in tollen, fantasiereichen Kostümen die Bühne: Damals vor rund 27 Jahren wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt und man musste nicht ständig angstvoll auf das Theaterbudget schielen. In einem, sich mit eilig verengender Perspektive gestalteten Einheitsraum, der vollständig mit Pergament und Tintenklecksen des Dichters verkleidet ist, erlebt man im Olympia-Akt unheimliche Vitrinen mit einem Totengerippe, riesigen aus den Wänden oder anderen Geräten herausquellenden Augen und allerlei Wundermaschinen. Oder ein bis auf den Fluchtpunkt sich erstreckendes, zugespitztes Klavier in dunkler, gespenstischer Umgebung im Antonia-Akt oder angedeutete rote Sofa-Gondeln im Giulietta Akt. Mit magischem Licht, Pyrotechnik und Feuereffekten angereichert, gelingt Serban darin eine vitale, detailverliebte, stimmige Inszenierung.
Auch mit dem Sängerensemble kann man rundum zufrieden sein: Als Titelheld kommt der jüngere Tenor Dmitry Korchak zum Zug kam: Er begeistert mit einer jungen, unverbrauchten Stimme, bei der man sich als Zuhörer keine Sekunde Sorgen machen muss. Seine Spitzentöne schleudert er nur so, völlig ungefährdet, ins Publikum. Vielleicht fehlt ihm noch das letzte Raffinement für diese Rolle. Darstellerisch sollte er vielleicht noch an der Partie arbeiten. Luca Pisaroni ist ein bühnenpräsenter, sehr dämonischer Bösewicht mit öliger Eleganz und dunklem, kraftvollem Organ, markig und zynisch. Gaelle Arquez als Muse/Niklausse verfügt über einen schönen Mezzo. Es fehlt ihr auch nicht an Überzeugungskraft und Präsenz. Olga Peretyatko singt alle drei Geliebten des glücklosen Dichters, die üblicherweise geteilt werden. Und sie kann es: Sie ist eine entzückende Olympia, bei der die Koloraturen ganz natürlich und sauberst nur so herausperlen. Darstellerisch fehlt es bei ihr etwas an puppenhaftem Spiel. Als bildhübsche Antonia begeistert sie mit ihrer Mädchenhaftigkeit und mit koketter Sinnlichkeit als Kurtisane Giulietta, wobei es ihr auch hier nie an Eleganz fehlt. Von den vielen kleineren, Partien ist vor allem Michael Laurenz (Franz, Chochenille, Pitichinaccio) besonders hervorzuheben, der mit seiner großen Szene als Frantz das Publikum zum Lachen bringt. Auch die anderen Stimmen sind alle gut besetzt. Der auch bewegungsmäßig stark geforderte Chor der Wiener Staatsoper neigt nur manchmal zum Schleppen, singt aber klangschön.
Auf Klangschönheit konzentriert ist das Dirigat von Frédéric Chaslin, der beim gut disponierten Orchester der Wiener Staatsoper ein Mehr an Akzenten und Feinheiten herausholen könnte. Er ist auch wiederkehrend damit beschäftigt, den Chor wieder einzufangen.
Großer Jubel vom Publikum, das sich sehr begeistert zeigt, für alle Beteiligten im vollen Haus!
Dr. Helmut Christian Mayer
15. November 2020 | Drucken
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