Die Welt auf den Kopf gestellt wurde auch bei der zweiten Opernrarität beim Wexford Festival, das dafür bekannt ist, ausschließlich selten gespielte oder vergessene Opern aber von hoher Qualität aufzuführen: Bei Saverio Mercadantes „Il bravo“- von diesem italienischen Komponisten wurden in Wexford in letzter Zeit allein sechs Opern gezeigt - die 1839 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde, ist die bekannte Kulisse Venedigs in verschiedenen Variationen andeutungsweise meist verkehrt oder schräg wahrzunehmen. Die doch ziemlich krause Räubersgeschichte, die auf einem Roman des bekannten US-Autor James Fennimore Cooper basiert, handelt von einem, vom venezianischen Senat wegen seines gefangenen Vaters zu heimlichen Auftragsmorden gezwungenen Edelmann, das Wiederfinden seiner Frau und Tochter, inklusive natürlich einer ziemlich verwickelten Liebesgeschichte, die jedoch tragisch endet.
Renaud Doucet hat sie mit seinem ständigen Partner und Ausstatter André Barbe in historisch-klassischen Kostümen in einer eher statischen Regie, die sich mit Auftritten sowie Abgängen und bloßen Arrangement beschränkt und mit teils ziemlich abgestandenen Operngesten erzählt. Die Projektionen, die zu Beginn und während der Szenenwechsel immer wieder zu sehen sind, von alten italienischen Meistern von bekannten Plätzen und Orten der Serenissima werden immer mit aktuellen, heutigen Anspielungen gewürzt. So sieht man etwa als Hintergrund zum alten Markusplatz ein riesiges Kreuzfahrtschiff mit dem Namen MS Calamita. Oder es schwimmen am Canale Grande neben den bekannten Gondeln auch moderne, schlauchbootartige Wasserfahrräder herum.. All dies regt noch irgendwie zum Schmunzeln an. Hingegen sind die immer wieder in Scharen auftauchenden und herumlatschenden, heutig gewandeten, mit Mobiltelefonen fotografierenden Touristen ziemlich entbehrlich, denn sie tragen eigentlich gar nichts zur Geschichte bei und erhellen diese auch in keinster Weise. Offensichtlich will man mit diesen Ideen dem Regietheater huldigen und krampfhaft Aktualität einfließen lassen.
Als bester Belcanto entpuppt sich die Musik von Saverio Mercadante, in der man schon frappant den jungen Verdi hören kann. Obwohl so manche Arien sehr diffizil angelegt sind, werden sie vom Ensemble überwiegend exzellent bewältigt: Ekaterina Bakanova ist eine flexible, koloraturensichere Violetta, um die sich alles dreht. Ihre, wie es sich später herausstellt, Mutter Tedora wird von Yasko Sato sicher aber mit etwas engen Höhen und zu wenig Ausdruck gesungen. Der Titelheld „Il bravo“ selbst ist bei Rubens Pelizzari mit seinem kraftvollen, höhensicheren, farbig etwas eindimensionalem Tenor in besten Händen. Viel zu lyrisch und mit viel zu wenig Durchschlagskraft hört man hingegen den Tenor von Alessandro Luciano als Pisani. Die schönste Stimme des Abends hat zweifellos der junge Venezolaner Gustavo Castillo mit seinem unverbraucht klingenden, kernigen, runden Bariton als „böser“ Foscari. Einen Namen, den man sich merken sollte. Der Chor des Hauses (Einstudierung: Errol Girdlestone) singt sehr homogen und vital.
Vital und mit vielen Schattierungen im Ausdruck und in der Dynamik hört man auch das Orchester des Wexford Festivals unter Jonathan Brandani. Die Rarität verfügt über jede Menge wunderbare belkanteske Musik. Trotzdem wirken letztlich die fast drei Stunden (ohne Pausen) gegen Ende hin doch etwas zu lang.
Großer, länger anhaltender Jubel!
Helmut Christian Mayer
30. Oktober 2018 | Drucken
Kommentare