Wie viele andere Werke von Jacques Offenbach teilt auch "Die Großherzogin von Gerolstein" unverdienterweise das Schicksal, in Vergessenheit geraten zu sein. Das liegt natürlich nicht an der zündenden Musik, denn diese hält sich in der Höhe der besten Schöpfungen des Komponisten, sondern am Libretto. Denn die zeitsatirischen Anspielungen auf die Politik und den Krieg diesseits und jenseits des Rheins im 19. Jahrhunderts zur Zeit des 2. Französischen Kaiserreichs verloren bald ihre Wirkung und Verständlichkeit. Hier hat die Großherzogin überhaupt keine Lust, den ihr zugedachten Prinzen Paul zu heiraten. Sie interessiert sich mehr für den Soldaten Fritz, den sie bis zum Offizier befördert und um für sie standesgemäß zu sein, in den Adelstand hebt. Dieser hat jedoch nur Augen für seine Wanda und kehrt gegen den Willen von General Bumm unerwartet siegreich vom Kleinkrieg zurück.
Und so wurde die Opéra-bouffe, so wie meist in der Vergangenheit, auch am Grazer Opernhaus einer Bearbeitung unterzogen. Peter Lund, der hier am Haus („Martha“ und „Zirkusprinzessin“) aber auch an der Wiener Volksoper („Frau Luna“, „Axel an der Himmelstür“, „Zigeunerbaron“, „Csardasfürstin“)schon erfolgreich inszeniert hat, hat den Plot gestrafft und eine Rahmenhandlung mit neuen Texten erfunden, in welcher der Komponist höchstpersönlich (gekonnt: Daniel Doujenis) und seine ihn inspirierende Muse, die damals gefeierte Sängerin Hortense Schneider, auch die Titelheldin, auftauchen. Es verwischen sich nun immer wieder Bühnenspiel und Pariser Leben. Und es mangelt nicht an vielen originellen Ideen: Wenn etwa Champagnerflaschen aus Kanonen auf die Feinde geschossen werden und diese auch mit Fallschirmchen vom Himmel regnen oder tanzende Puppen das Publikum vor dem missglückten Mordkomplott amüsieren. Es gibt eine zickige Diva, die die Monarchin aus dem fiktiven Großherzogtum Gerolstein spielt, ein dilettantisches Mordkomplott, ein völlig unfähiges Soldatenheer, männliche Degen-Diskussionen. Comicartig sind die Kulissen (Ulrike Reinhard), völlig überzeichnet die opulenten, schrillen Kostüme (Daria Kornysheva). Lund zeigt das Stück als bewusst überzogene, augenzwinkernde Satire auf Militarismus und Provinzialismus.
Anna Brull bei den gesprochenen Dialogen als Hortense Schneider nicht immer ganz verständlich, singt aber die Großherzogin mit raumgreifendem, höhensicherem Sopran und agiert mit bewusst divenhaftem Getue, die ihren heiß begehrten, zuerst einfachen Soldaten und dann zum Offizier beförderten Favoriten „Frrrritz“ nennt. Dieser wird von Alexander Kaimbacher ideal gesungen und als sehr naiv dargestellt. Seine angebetete Wanda ist die entzückend spielende und singende Sieglinde Feldhofer. Köstlich das intrigierende und wohlsingende Männertrio mit Wilfried Zelinka als mit übergroßer Uniform und vielen Orden ausgestatteter General Bumm, Martin Fournier als gelbgewandeter und kleinem Krönchen bestückter Prinz Paul sowie Ivan Orescanin als wie ein Geheimagent ausstaffierter Minister Puck. Markus Butter ist als Henri Meilhac, Offenbachs Librettist, zu erleben. Tadellos singt der Chor der Grazer Oper (Einstudierung: Bernhard Schneider).
Voller Leichtigkeit, Charme und Esprit erlebt man das funkelnde Werk bei Marius Burkert und den eher klein besetzten Grazer Philharmonikern.
Großer Jubel!
Dr. Helmut Christian Mayer
17. Januar 2023 | Drucken
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