Es ist ein intensiver, auch nach der Aufführung noch lange nachwirkender Abgesang! Verbunden ist er mit einer gewissen Wehmut, denn Leoš Janáček "Jenůfa" ist die letzte szenische Produktion am Theater an der Wien des Intendanten Roland Geyer, der nach langjähriger, künstlerisch höchst erfolgreicher Tätigkeit aufhört und das Steuer in der nächsten Saison an Stefan Herheim übergibt. Nur in der Dependance des Hauses, in der Kammeroper sind noch zwei weitere Opernproduktionen geplant. Zudem wird das geschichtsträchtige Theater an der Wien jetzt für zwei Jahre geschlossen und total renoviert, sodass der Nachfolger in dieser Zeit mit seinen Produktionen ins Wiener Museum-Quartier ausweichen muss.
Und diese "Jenůfa" wurde zu einem unumstrittenen Erfolg, der verschiedene Gründe hat: Einer davon ist die Inszenierung der Regisseurin Lotte de Beer, sie ist ja bekanntlich die designierte Direktorin der Wiener Volksoper. Sie siedelt die Geschichte in einem Gefängnis an. Eine schäbige, einstöckige, drehbare Hausruine (Bühne: Christof Hetzer, Kostüme: Jorine van Beek), verschiedene Einblicke und Räume ermöglichend, dient dafür. Gleich zu Beginn sieht man mehrere uniformierte Aufseher für inhaftierte, putzende Frauen in grauem Drillich. Hier hat die ebenso gekleidete, bereits wegen Kindsmord verurteilte Küsterin, Kostelnička Buryjovka, ihre eigene Zelle und erlebt die tragischen Geschehnisse quasi im Rückblick. Sie ist somit beobachtend omnipräsent. Eine Idee, für die es nicht unbedingt einen zwingenden Grund ergibt, die aber aufgeht. Und Lotte de Beer belässt die Geschichte in der Zeit, in der sie spielt und sie fasziniert mit einer fulminanten Personenführung.
Einen weiteren Erfolgsgrund findet man beim großartigen Ensemble: Nina Stemme überragt alle. Sie ist eine phänomenale, ungemein bühnenpräsente Küsterin sowohl im Spiel wie auch im Gesang mit hochdramatischen Tönen aber auch vielen weiteren Nuancen. Die Großmutter Stařenka Buryjovka, die alte Burja, ist mit Opernlegende Hanna Schwarz passend für diese Partie besetzt. Ihren Enkel den trinkfreudigen und leichtfertigen Števa singt Pavol Breslik mit höhensicherem Tenor. Expressiv gestaltet ist die Szene, wie er übermütig dem Militärdienst entronnen, gleich einem Tier über die Dorfschönheit Jenůfa vor allen Dorfbewohnern herfällt. Dessen Stiefbruder Laca wird von Pavel Černoch mit schönem, klarem Tenor gesungen. Gut sind auch die vielen kleineren Partien, bei denen Valentina Petraeva als Karolka, Tochter des Dorfrichters, herausragt. Und die Titelrolle? Diese wird von Svetlana Aksenova, zweifellos eine Entdeckung, vielleicht eine Spur zu lyrisch aber insgesamt wunderbar und ungemein fassettenreich gesungen und dargestellt.
Und der große Erfolg gründet sich schließlich auch in der orchestralen Umsetzung: Gespielt wird die Urfassung aus 1908 in Brünn, ohne Einbeziehung späteren Bearbeitungen und ohne spätere Glättungen. Diese wird vom ORF-Radio Symphonieorchester Wien unter Marc Albrecht je nach Stimmung mit aller gewünschter Schroffheit und Brutalität, den oft etwas eigenwilligen Klangfarben aber auch mit liebevoller Zärtlichkeit musiziert.
Lautstarke Ovationen des restlos begeisterten Publikums für alle beschlossen diese gelungene Opernproduktion.
Dr. Helmut Christian Mayer
25. Februar 2022 | Drucken
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