Selbstmord, Ehebruch, Auspeitschung, Massenvergewaltigung und mehrere Morde, einer davon besonders grausam mit Rattengift: Das sind die ohnedies schon grausigen Zutaten von Dmitri Schostakowitsch zweiter Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Und diese Sogwirkung des Musikdramas (UA 1934) - das nach einem Besuch von Stalin verboten wurde, da darin auch die Obrigkeit in Form der Polizei lächerlich gemacht wurde - vermochte Immo Karaman in seiner Inszenierung am Stadttheater Klagenfurt noch intensiver und praller zu verstärken.
Wie schon bei Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ 2014 und Brittens „Midsummer Night‘s Dream“ 2015 lässt sich der deutschtürkische Regisseur, einmal mehr sein eigener Bühnenbildner, auch diesmal von Bildern eines Malers inspirieren: So erinnern manche Szenen frappant an den George Grosz, einem Zeitgenossen Schostakowitsch, dessen Sujets drastische und provokative Darstellungen von Mord und Gewalt wie auch Verspottungen der herrschenden Klasse beinhalten. Also, wie geschaffen für diese Story. So tauchen in den teils tristen, kargen, schnell wechselnden Kulissen immer wieder auch allegorische Figuren (Kostüme und Choreographie: Fabian Posca), wie ein Tanzbär, ein Pope wie ein buddhistischer Mönch ausstaffiert, ein Christus mit Gasmaske, ein „Schäbiger“ wie ein Conférencier in Netzstrümpfen, Polizisten, wie Clowns maskiert und sich ebenso lächerlich benehmend, auf. Und all dies ist mit größter Musikalität punktgenau auf die Partitur und einem großen Detail- und Ideenreichtum inszeniert. Als Theater im Theater konzipiert schwankt seine Konzeption zwischen krassem Realismus, Subtilität, ironisierender Satire und Surrealem, wie in der letzten Szene und geht insgesamt wie ein gespenstischer Thriller unter die Haut.
Und zum Finale findet sich die Titelfigur wie am Beginn im kleinbürgerlichen Wohnzimmer schweigsam beim Essen mit Mann und Schwiegervater. Und bevor die Geschichte wieder von vorne beginnen kann, schneidet sie sich die Kehle durch, was die beiden anderen völlig teilnahmslos gar nicht bemerken. Ihre Rivalin wird von ihr, nicht wie in der Vorlage, getötet sondern läuft schreiend hinaus.
Einen großen Anteil am Gelingen hat auch Kristiina Poska. Die estnische Dirigentin ist ein regelrechter Glücksfall für das Kärntner Sinfonieorchester im noch tiefer gelegten Graben: Denn was sie unseren Musikern bei aller Komplexität und Diffizilität der Partitur herauslockt, ist schlichtweg ein Ereignis: Grelle, schneidende Orchesterfarben mit ausgelagerten Blechbläser in den Proszeniumslogen, akustisch bis an die Schmerzgrenze, krasse Realistik, subtiles, kammermusikalisches Pathos wechselt mit grotesk-parodistischer Überspitzung und illustrativer Vulgarität. Auch die irreguläre Rhythmik und die brutalen Steigerungen werden expressiv und spannungsgeladen herausgearbeitet.
Uneingeschränkt glücklich wird man diesmal auch mit dem Sängerensemble: Svetlana Sozdateleva verausgabt sich darstellerisch und stimmlich bis an ihre Grenzen. Sie ist eine ungemein fassettenreiche Katerina Ismailowa, von unbefriedigt über lasziv bis exzessiv. Der Arbeiter Sergej wird vom virilen Alexej Kosarev kraftvoll und höhensicher gesungen. Gleb Nikolsky singt den despotischen und erotomanischen Vater Boris mit starker, bösartiger Präsenz und Stimmgewalt. Joshua Owen Mills ist sein schwächlicher Sohn Sinowij mit hellem Tenor. Iris van Wijnen ist in gleich zwei Partien als gequälte Axinja und laszive Sonjetka zu erleben. Auch das übrige Ensemble, bei dem der Polizeichef (Karl Huml), der Pope (Jisang Ryu) und der Schäbige (Marlin Miller) hervorstechen und der Chor des Hauses (Günter Wallner) lassen keine Wünsche offen. Und was diesmal besonders auffällt: Alle sind zudem großartige Darsteller. Großer Jubel!
Helmut Christian Mayer
07. März 2018 | Drucken
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