Kein Geringerer als Gustav Mahler wies das komponierende „Wunderkind“ Erich Wolfgang Korngold zu Alexander von Zemlinsky, wo er in erstaunlich kurzer Zeit alles lernte, was ein vollkommener Musiker können muss. Ein mit 15 Jahren komponiertes Ballett „Der Schneemann“ wurde bereits an der Wiener Hofoper aufgeführt. Dann folgte die erste Oper „Der Ring des Polykrates“, die gemeinsam mit „Violanta“ 1916 am Münchner Hoftheater uraufgeführt wurde. Korngold komponierte dieses packende Beziehungsdrama noch vor seinem Welterfolg „Die tote Stadt“. Basis war ein veristisches Textbuch des namhaften österreichischen Romancier Hans Müller-Einigen, das wirkungsvoll zur Nachahmung Puccinis, Mascagnis, Leoncavallos herausforderte und den Knaben Korngold auf eine Gefühlsebene drängte, die noch unmöglich die Seine sein konnte: Im rauschenden Festtreiben Venedigs im 15. Jahrhundert plant die unglücklich verheiratete Violanta, den Selbstmord ihrer Schwester an deren Verführer zu rächen, wofür sie ihren Mann Simone als Mörder dingt. Erkennungszeichen für den erwarteten Besucher und Verführer Alfonso, immerhin Sohn des Königs von Neapel, der von den Zusammenhängen keine Ahnung hat, ist ein Lied. Doch als dieser erscheint, verfällt auch Violanta seinem Zauber. Sie will dem Rächer den Dolch aus der Hand reißen, wird aber dabei selbst tödlich getroffen. Der damals gerade erst 18-jährige Korngold beherrscht nicht nur das Metier verblüffend, er findet auch wärmste Gemütstöne und erregt höchste Spannung. Jetzt wird das Stück im Zuge der Korngold-Renaissance in Italien mustergültig wiederentdeckt. So hat „Die tote Stadt“ inzwischen fast schon wieder einen festen Platz im Repertoire gefunden. Im vergangenen Jahr erreichte sie mit 99 Jahren Verspätung endlich auch das führende italienische Opernhaus, die Scala. Dass Korngold mittlerweile in Italien verspätet zu Ehren kommt, bestätigt nun ebenfalls die heurige italienische Erstaufführung der „Violanta“ am Teatro Regio in Turin, die jetzt ganz neu als DVD bei Dynamic Nr. 37876 herausgekommen ist.
Dort nahm sich der fast 90-jährige Regie-Altmeister Pier Luigi Pizzi des Stückes an. Dass „Violanta“ in Venedig während des Karnevals spielt nimmt Pizzi, wie immer sein eigener Ausstatter, nicht zum Anlass für ein folkloristisches Italien, sondern zeigt es nachgerade metaphysisch aber wie gewohnt sehr ästhetisch. In der gänzlich roten, von schweren Vorhängen gerahmten Bühne mit einem riesigen Bett und Sofa sieht man mittig im Hintergrund ein schwarzes Rund, hinter dem eine Gondel Alfonso und die anderen karnevalesken Gestalten in Violantas Palazzo trägt. Prächtig sind auch die Roben und Uniformen der eleganten Gesellschaft, die ebenso wie die Szene nicht auf das 15. Jahrhundert, sondern auf die Entstehungszeit der Oper hinweisen.
Zwar sind die musikalischen Anleihen Korngolds bei Wagner, Verdi, aber auch Strauss und Zemlinsky fast überdeutlich. Doch „Violanta“ wirkt nie epigonal, erweist sich in Turin vielmehr als ein enorm packendes Stück, das den Hörer nach nur eineinviertel Stunden vollkommen erschöpft zurücklässt.
Dafür sorgt der Korngold-erfahrene Pinchas Steinberg, der heuer seinen 75. Geburtstag feiert. Er lässt das Orchester des Teatro Regio Torino raffiniert schillern und führt es sicher durch die vielen Rubati und bewahrt zugleich den Sog dieses tödlich endenden Opernkrimis.
Dafür sorgen aber auch die Sänger: Annemarie Kremer, bereits in mehreren großen Sopranrollen Korngolds zu hören gewesen, singt die Titelpartie ausdruckstark, sicher mit triumphalen Spitzentönen, die sie in ein ebenso sinnliches Piano zurücknehmen kann. Norman Reinhardt erweist sich als Verführer Alfonso mit hinreißenden Unschuldstimbre. Er beweist damit, dass man Korngolds als schwergewichtig geltende Tenorpartien durchaus mit lyrischem Schmelz singen kann. Wunderbar erklingt das Liebesduett „Reine Lieb“, bei dem sich erstmals sanft die beiden Stimmen miteinander verschlingen. Selbst in den mittleren Partien sind schwere Stimmen gefordert wie Michael Kupfer-Radecky, der in Turin dem Ehemann Violantas Simone Trovai die nötige baritonale Autorität verleiht oder der Tenor Peter Sonn in der Episodenrolle eines feierwütigen Malers. Lediglich Anna Maria Chiuri als Violantas Amme Barbara fällt mit ihrem reifen Timbre ab.
Das Publikum zeigt sich begeistert und jubelt allen Beteiligten ausnahmslos zu!
Dr. Helmut Christian Mayer
03. Juni 2020 | Drucken
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