Es ist ein Schlüsselwerk der französischen Oper des 19. Jahrhunderts: „Les Troyens“ von Hector Berlioz. Und es ist eine gewaltige Herausforderung für jedes Opernhaus, dieses aufzuführen. Denn die fünfaktige, gut fünfstündige Grand Opéra, die von der den Untergang Trojas erlebenden Kassandra aber auch von der unglücklichen Liebe Didos zu Aeneas in Karthago handelt, bedarf eines immensen Aufwands sowohl was Sängerbesetzung, 22 Rollen sind zu besetzen, Orchester wie auch szenische Realisierung betrifft. Nun ist es mehr als anerkennenswert, dass das Grazer Opernhaus sich dieses Mammutwerks stemmte. In einer eigenen „Grazer Fassung“ scheute man sich nicht vor Kürzungen und so wurden nicht nur alle Ballette und Pantomimen, sondern auch die Nebenfiguren auf das Allernotwendigste zusammengestrichen.
Tatjana Gürbaca stellt in ihrer Inszenierung Aeneas, der Seherin Cassandra und Königin Dido in den Mittelpunkt, die als starke Persönlichkeiten gezeigt werden und für deren innere Gefühle und Psychologie sie sich besonders interessiert. Nur Kassandras Liebhaber Choröbus, Didos Schwester Anna und Aeneas Sohn Ascanius haben neben diesen noch nennenswerte Auftritte. Und trotz dieser Kürzungen kommt man inklusive zweier Pausen hier in Graz trotzdem noch auf fast vier Stunden Spielzeit.
Dabei setzt man szenisch auf Reduktion. Denn das Bühnenbild ist karg und extrem einfach. Es besteht eigentlich nur aus einer schrägen Holzplattform auf einer häufig rotierenden Drehbühne. Dahinter befinden sich noch ein paar aufgestellte Holzplatten. Erst in der finalen Szene wird dann noch ein hölzerner Gitterkäfig, wo sich dann nochmals alle Figuren versammeln, hereingeschoben (Bühne: Henrik Ahr). Diese fast trostlose Ausstattung ist keinesfalls bühnenwirksam und nimmt dem Werk viel von seiner Wirkung. Großteils trostlos sind auch die heutigen Kostüme von Barbara Drosihn. Und überall herrscht Krieg, der kein Ende kennt. Vielmehr wird er hier als eine Konstante des menschlichen Daseins gezeigt, wobei überall unter der Oberfläche die Gewalt lauert, die die Regisseurin immer wieder schnell und jäh ausbrechen lässt. Das trojanische Pferd kommt nur als wandelnder Schatten vor, mit dem auch sonst einige wenige stimmungsvolle Bilder gezeigt werden. Einfachheit und keinerlei Bildmächtigkeit herrschen vor. Die deutsche Regisseurin führt diese Grand Operá bei ihrer eigentlichem Personenführung wie ein Psychodrama vor.
„Nuit d‘ivresse - Nacht der Trunkenheit, Nacht der Verzückung“: Es ist das absolute Highlight von „Les Troyens“, dieses ergreifende, ja verzaubernde Liebesduett von Dido und Äneas, das Hector Berlioz zum Ende des 4. Aktes komponiert hat. Und es wirkt umso mehr, wenn es so innig gesungen wird, wie hier an der Grazer Oper: Denn Anna Brull singt die Königin von Karthago Didon (Dido) mit vielen Facetten, herrlicher Legatokultur ihres schlanken Mezzos. Und es ist großartig, welche Wandlung sie durchmacht, von der liebenden Frau driftet sie gekonnt immer mehr Richtung Fassungslosigkeit und Wahnsinn ab und kann im Finale, das zum Ereignis wird, mit Emotionalität, Expressivität und Bühnenpräsenz faszinieren. Hier in Graz besteigt sie keinen Scheiterhaufen, wie es im Libretto eigentlich vorgesehen ist, sondern wählt den Tod durch Einnahme von Gift. Der den ganzen Abend stark geforderte Iurie Ciobanu kann als Énée (Aeneas) nicht nur im Liebesduett punkten, auch sein Äneas-Monolog gerät ihm vortrefflich. Er entledigt sich dieser Aufgabe mit Bravour, mit einem höhensicheren, hellen Tenor und nicht nachlassender Strahlkraft. Die Grand opéra nach Vergil handelt aber nicht nur von der unglücklichen Liebe Didos zu Aeneas in Karthago, sondern beschreibt auch zuvor den Untergang Trojas, der von der Seherin Cassandre (Kassandra) vorausgesagt wird. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen, die trojanische Seherin Kassandra und die karthagische Königin Dido, beide Opfer von Männern, beide enden durch Suizid. Kassandra wird von der stimmgewaltigen Mareike Jankowski sehr expressiv und bühnenpräsent aber auch gepflegt feinsinnig verkörpert. Markus Butter ist ein etwas mulmig klingender Chorèbe (Choröbus). Neira Muhic ist eine dunkel timbrierte Anna, die Schwester von Dido. Auch die vielen kleineren Rollen, wie etwa Ekaterina Solunya (Äneas Sohn Ascanius) und Euiyoung Peter Oh (Iopas/Hylas) lassen aufhorchen. Auch die beiden kraftvollen Bassisten Will Frost (der Schatten Hektors) und Daeho Kim (Narbal und Priamus) gefallen.
Eine der Hauptrollen spielt diesmal der omnipräsente Chor der Grazer Oper, erweitert durch den Philharmonia Chor Wien, der mit Homogenität und Stimmkraft besticht und eine große Aufgabe zu bewältigen hat.
Vasilis Christopoulos am Pult gelingt es, die Grazer Philharmoniker zu hohen Leistungen aufzustacheln. Der neue Chefdirigent spürt den Schönheiten der Partitur mit satten, atmosphärischen Klängen und Farbenreichtum intensiv nach. Warmsamtig spielen die Streicher, klar und meist präzise die Bläser ohne groß aufzutrumpfen.
Das Publikum spendete heftigen Beifall!
Dr. Helmut Christian Mayer
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25. Januar 2025 | Drucken
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