"Mozarts Cosi fan tutte" in Graz: Starke Verwirrungen der inneren Gefühle

Xl_cosi-wilfried-zelinka-nikita-ivasechko-ekaterina-solunya-sofia-vinnik-graz-c-reinhard-winkler-graz-1-35 © Reinhard Winkler

Tür an Tür wohnen die beiden jungen, verliebten Pärchen, und zwar in einem modernen, einstöckigen Reihenhaus, jeweils in einer Doppelhaushälfte, in welchem sich die jeweiligen gleichen Räume spiegeln. Und dieses gibt, wenn es sich auf der Bühne dreht, immer wieder viele Einblicke frei, ins Wohn-, Schlaf- und Badezimmer, wie auch in die Küche. Draußen schleicht schon während der Ouvertüre Don Alfonso, der Spielmacher der Geschichte, herum, spechtelt immer wieder in die Fenster und beginnt bald mit seinem Experiment, nämlich der Wette um die Treue der Verlobten: Eigentlich spielt ja Wolfgang Amadeus Mozarts schwer zu inszenierende Oper Cosi fan tuttein Neapel des 18. Jahrhunderts. Es ist die dritte kongeniale Zusammenarbeit des Ausnahmekomponisten mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte.

Barbara-David Brüesch hat der vielgespielten und beliebten Oper, einerder sieben großen Musikdramen des Salzburger Genies jetzt am Opernhaus Graz einen ordentlichen Modernisierungsschub verpasst. Die Schweizer Regisseurin siedelt das Meisterwerk im Heute, in ebensolchen Kostümen an (Bühne: Alain Rappaport, Kostüme: Sabin Fleck). Und sie deutet damit gleich einmal schon von der Szenerie her an, dass das das Dramma giocosa, in welchem auch TV-Geräte und Handys mit Selfies und auch einige dezente Projektionen verwendet werden, auch noch heute seine Aktualität nicht verloren hat. Der erste Akt wird wie eine richtige Boulevardkomödie gezeigt und sprüht dabei nur so von Spritzigkeit, Ideenreichtum, Witz und Amüsement. Während im zweiten Akt sich die beiden Wohnhälften zu einem gemeinsamen Innenhof ohne Requisiten öffnen, wo die Figuren meist einsam agieren, macht sich hingegen auch stückbedingt eine gewisse Langatmigkeit breit. Doch das ist spätestens mit der Hochzeitszeremonie vorbei, bei welcher eine weiße, elegante XL-Stretchlimousine hereinfährt und die weiß gekleidete Hochzeitsgesellschaft mit schwarzen Luftballons in Herzform hereinströmen.

Brüesch schafft in dieser Koproduktion mit dem Schweizer Konzert und Theater St. Gallen glaubhafte Charaktere, deren zuerst scheinbar perfektes Beziehungsgeflecht großen Gefühlsverwirrungen weicht. Sie zeigt klar die Zeitlosigkeit von Liebe, Verführung und Untreue und einen tiefen Blick in die menschliche Seele. In dieser fingierten Treueprobe mit allerhand Wirrungen, Wahnwitz und Verkleidungen werden die beiden Männer wie Handwerker mit Helm, Werkzeug und falschen Bärten ausstaffiert. Die Regisseurin zeigt ein durchdachtes Kammerspiel von Mozarts heiklem Liebes- und Lebensexperiment und legt das Wesentliche des Stücks frei. Eine hinzugefügte Figur, eine Balletttänzerin von Ann-Kathrin Adam gekonnt verkörpert, schwebt als „Amor“ teils über dem Geschehen oder tanzt zwischen den anderen Figuren herum. Am Ende hängt sie symbolhaft kopfüber. Was ja auch kein Wunder ist, denn am Ende sind die Gefühle alle auf den Kopf gestellt. So wechseln die vier Protagonisten verwirrt ständig zwischen den Partnern hin und her und legen sich zuletzt alle zu viert in ein gemeinsames Bett.

Für das Gelingen dieser Neuproduktion sorgt auch ein wunderbar, homogenes Sängerensemble: Corinna Koller ist eine innige,fein phrasierende Fiordiligi mit tiefer Empfindungstiefe, reinsten Koloraturen und ungefährdeten Höhen. Die emotionstiefe Arie „Come Scoglio“ gelingt ihr vortrefflich. Sofia Vinnik ist eine sängerisch exzellente Dorabella mit berührendem Timbre. Ekaterina Solunya singt eine quirlige und kecke Despina, die den beiden Frauen einen Art Zauber- oder Liebestrank verabreicht, die auch verkleidet köstlich als Notärztin oder Notarin reüssieren kann. Ted Black als Ferrando tritt als vielversprechender, lyrischer Tenor mit leichter Enge in der Höhe auf, der mit seinem Ohrwurm „Un aura amorsa“, eine der bekanntesten Arien der Operngeschichte schwärmerisch punkten kann. Nikita Ivasechko verfügt als sehr viriler Guglielmo über einen warmen, kernigen Bariton. Wilfried Zelinka singt den Don Alfonso als kraftvollen und nuancenreichen Strippenzieher. Der Chor der Oper Graz (Einstudierung: Johannes Köhler) singt wenig, das aber sehr homogen.

Dass diese Produktion musikalisch noch mehr überzeugt, dafür sorgen auch die Grazer Philharmoniker unter der ungemein agilen Dinis Sousa. Mit großer Eleganz und Energie, delikaten Farbabmischungen führt der vielversprechende, junge portugiesische Dirigent die sich sichtlich wohl fühlenden Musikerinnen und Musiker immer sicher, durchhörbar, pointiert, vital und duftig durch die Partitur führt.

Schon nach fast jeder Arie gibt es frenetischen Applaus und viele Bravi, die sich zum Finale zu großem Jubel eines restlos begeisterten Publikums steigern!

Dr. Helmut Christian Mayer

 

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