Schon bei der Ouvertüre geht der Junge über die Bühne. Es ist Tamino als Kind mit Jeans sowie Jeansjacke bekleidet und er beobachtet die Sonne, den Mond und den erscheinenden Sternenhimmel-Vorhang. Zwei plötzlich auftauchende Seile verwandeln sich zu Schlangen und bedrohen ihn. Plötzlich erscheint eine Riesenschlange und der nunmehr erwachsene, völlig gleich bekleidete Tamino spielt die Szene weiter und fällt in Ohnmacht. Als „Coming-of-Age Story“ inszeniert Josef Ernst Köpplinger Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Zauberflöte“ an der Semperoper in Dresden. Deswegen taucht Jung-Tamino immer wieder beobachtend bis zum Ende auf der Szene auf. Der gebürtige Österreicher und Intendant des Theaters am Gärtnerplatz im München zeigt ein psychologisches Generationenspiel ohne auf märchenhafte oder effektvolle Momente zu verzichten. So erscheint etwa Papageno fliegend mit einem roten Vogelflugzeug. Und auch die drei Knaben mit hochtoupierten weißen Frisuren rauschen mit einem Fahrrad-Gefährt mal am Boden, dann auch wieder durch die Luft daher. Die eigentliche Personenführung ist geprägt durch Distanz, Arrangement- und Rampentheater, was aber den Corona-bedingten, geltenden Abstandsregeln geschuldet ist, wie uns der Abspann des Streams erklärt. Phantasievoll sind auch die mitunter durchaus recht grellen Kostüme von Dagmar Morell, wie auch das Bühnenbild von Walter Vogelweider mit vielen Projektionen von an die Geschichte und den jeweiligen Stimmungen angepassten Landschaften. Aber auch Feuer und Wasser wie auch behübschende Pflanzen, Lichteffekte und auch das zerfließende Profil seiner geliebten Pamina sind zu sehen. Stimmung erzeugen aber auch ein beleuchtender leerer Kubus aus Neonröhren sowie der Auftritt der Eingeweihten mit ihren langen Mänteln und den von ihnen getragenen, leuchtenden Kugeln. Tiere tauchen auf und Riesen bei der Feuer- und Wasserprüfung. Und beim Schlussduett von Papagena und Papageno rennen Kinder als lachende Eier über die Bühne.
Die letzte Oper Mozarts hat in Dresden eine lange Tradition. Denn nur zwei Jahre nach der Uraufführung in Wien (im Todesjahr von Mozart 1791) kam sie hier erstmal heraus. Bis heute wurde sie ganze 1.270 Mal aufgeführt. Nun gibt es an der Semperoper die 18. Neuinszenierung, die pandemiebedingt nur als gekürzte „Light Version“ ohne Publikum im Stream zu erleben ist. Viele Ensembles und Arien wurden gekürzt, wie etwa bei der Auftrittsarie der Königin der Nacht oder bei den Arien des Papageno immer nur die erste Strophe zu erleben ist. Das Priesterduett fällt gänzlich aus.
Beim Ensemble trumpfen mehrere Sänger auf: René Pape als nobler Sarastro ist erste sängerische Sahne. Jede Phrase, jede Nuance, aber auch jeder tiefste Ton wie auch jede Geste sitzt auf Grund seiner langjährigen Erfahrung in dieser Rolle. Evelin Novak entzückt als Pamina mit einem lyrischen Sopran und leichter Höhe. Klaus Florian Vogt singt den Tamino mit seinem bekannt hellen, schlanken Tenor und mühelosen Höhen. Er hat zu seiner „alten“ Partie zurückgefunden, die er in Dresden, dessen Ensemble er in den 90-er Jahren angehörte, schon mehrfach gesungen hat. Die Königin der Nacht singt Nikola Hillebrand mit leichtem Sopran, wirkt jedoch teilweise mit der halsbrecherischen Partie überfordert, besonders bei so manchen nicht ganz reinen Spitzentönen. Recht derb, mit rüdem Humor, wenig charmant und zu kraftvoll legt Sebastian Wartig den Papageno an. Aaron Pegram als kleinstimmiger, teils unrhythmischer Monostatos singt sehr wortundeutlich. Als Papagena gefällt Julia Muzychenko mit hellem Sopran und sympathischem Spiel, während Alexandros Stavrakakis den Sprecher mit hohlem Bass singt. Die drei Damen Menna Cazel, Anna Kudriashova-Stepanets und Michal Doran sind mit jungen Sängerinnen, zum Teil aus dem Jungen Ensemble des Hauses besetzt, wobei alle gefallen. Meist sehr sauber erlebt man die drei Knaben, es sind Mitglieder des Dresdner Kreuzchores. Tadellos singt auch der Chor des Hauses.
Der Leipziger Kapellmeister Christoph Gedschold weiß auch mit der Sächsische Staatskapelle Dresden sicher umzugehen und lässt Mozarts geniales Werk mit Leichtigkeit und vielen Nuancen musizieren.
Dr. Helmut Christian Mayer
06. April 2021 | Drucken
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