Alle vier tragen rote, elegante, bodenlange Abendkleider mit roten Handschuhen, die sich auch manchmal abstreifen und aus der Loge kess zum Dirigenten hinunterwerfen. Und beim Singen bewegen sie sich geschmeidig und tänzelnd auf der Bühne, denn sie sind die „Primadonnen – Die Diven vom Gärtnerplatz“: So nennt sich auch der jetzt live gezeigte Stream aus dem Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz.
Ja, was wäre die Oper wirklich ohne eine solche Primadonna? Sie verkörpert Glamour und große Emotionen, ist Heldin und Liebende, ihr beseelter Gesang rührt uns zu Tränen, ihre Spitzentöne bringen den Saal zum Toben. Und so sehr man sie auf der Bühne bewundert, so gefürchtet sind sie hinter der Bühne, sagt das Klischee. So kursieren Geschichten über Primadonnen, die immens zicken können, wie der Intendant des Staatstheaters Josef E. Köpplinger in seiner kurzen Einführung erzählt. Sogar, dass die auf offener Szene mit einer Rivalin handgreiflich werden. Und jetzt lässt man gleich vier Sopranistinnen des Gärtnerplatztheaters zugleich auf der Bühne stehen. Es wird ein unterhaltsamer, kurzweiliger Abend mit mehr als einer Prise Humor, dessen Konzept und Regie von Nicole Claudia Weber von Fedora Wesseler stammen. Es ist ein speziell zusammengestelltes Pasticcio voll Frauenpower mit den mitreißendsten Melodien aus Oper, Operette, schwerer und leichter Muse, von Mozart und Puccini bis Gilbert und Sullivan, und vor allem nicht mit Piecen der Damen aus ihrem Standardrepertoire, sondern von ihnen bisher nicht gehörten Ensembles und Arien.
Und gleich bei Wolfgang Amadeus Mozart „Ich bin die erste Sängerin“ aus der Oper „Der Schauspieldirektor“ können sich drei von ihnen darüber mit viel Esprit um die Wette streiten und bei Carl Millöcker „Ach wir armen Primadonnen“ aus „Der arme Jonathan“ auch gleich gemeinsam bedauern, wobei die Arien immer wieder zwischen ihnen aufgeteilt werden. Aber jede allein kann auch einzeln ihr großes Können beweisen. So fasziniert etwa Camille Schnoor bei Giacomo Puccini „Un bel dì vedremo“ aus „Madama Butterfly“ mit großem Schmerz und tiefer Innigkeit. Judith Spießer singt bei Charles Gounod „Je veux vivre“ aus „Roméo et Juliette“ mit großer Flexibilität und saubersten Koloraturen. Mit ungemein diffizilen Koloraturen aber auch weichen Tönen wie auch absoluter Tonreinheit begeistert auch Jennifer O’Loughlin in Giacomo Meyerbeer „Ô beau pays” aus “Les Huguenots”. Und last but not least weiß Mária Celeng beim “Lied an den Mond« aus “Rusalka” von Antonín Dvořák in ihrer tschechischen Muttersprache wunderbare Emotionen zu entfalten. Letztere zündet gemeinsam mit Jennifer O’Loughlin bei Antonio Vivaldi „Agitata da due venti“ aus „Griselda“ ein halsbrecherisches Koloraturen-Feuerwerk. Diese wiederum singt gemeinsam mit Camille Schnoor das Duett „Mira, o Norma“ aus „Norma“ von Vincenzo Bellini und beschert einen belcantesken Höhepunkt. Dazwischen blitzt kurz Richard Wagners „Walkürenritt“, bei dem sie mit den entsprechenden Helmen ausgestattet werden. Er wird aber wieder abgeblasen: „Das Orchester ist zu klein für uns!“Und „Sempre libera“ aus „La traviata“ von Giuseppe Verdi wird zum Finale von allen vieren abwechselnd mit enormer Sicherheit und Reinheit gesungen.
Aber auch die sogenannte „leichte“ Muse kommt nicht zu kurz und zwar mit Richard Heuberger „Geh’n wir ins Chambre séparée“ aus „Der Opernball“, mit Charme und Grazie präsentiert oder „Three Little Maids from School are we“ aus „Der Mikado“ von William Schwenck Gilbert & Arthur Sullivan.
Das recht klein besetzte Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter Darijan Ivezić klingt manchmal recht dünn, begleitet aber solide und routiniert, wobei man sich manchmal mehr schwungvolle Akzente vom Dirigenten, der auch einmal das Cembalo betätigte, gewünscht hätte.
Zwischendurch und am Ende gibt es immer wieder offenbar eingespielten, frenetischen Applaus. Der gemeinsame Abend endet schließlich mit dem dringenden Wunsch, alle Opernhäuser wieder zu öffnen.
Dr. Helmut Christian Mayer
14. März 2021 | Drucken
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