Nach der kalligraphischen Schrift des Kirchenslawischen ist die „Mša Glagolskaja“ („Glagolitische Messe")von Leoš Janáček, die festliche Messe für Soloquartett, Chor, Orchester und Orgel benannt. Darin wird der unbedeutende, winzige Mensch allen rauen unermesslichen Naturgewalten ausgesetzt und mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert. Er tritt einem gewaltigen, allen Dingen und Erscheinungen innewohnenden Gott entgegen. Das besondere des seltsam schönen Chorwerks ist aber nicht nur die Abkehr von der lateinischen Sprache und stattdessen die Verwendung des Altslawischen, sondern die Einrahmung mit ungestüm virtuosen Orchesterstücken sowie der Einschub eines Orgelsolos als 7. Satz.In ihr erkennt man die die typischen Stilmerkmale Janáčeks wieder. So zum einen die Verwendung von prägnanten melodischen Floskeln, die zum anderen weniger entfaltet, als ständig wiederholt werden, bis ein neuer Melodieteil auftaucht. Der Höhepunkt der Komposition ist das Credo. Jetzt konnte man das in unseren Breiten viel zu selten aufgeführte, gewaltige, faszinierende Alterswerk in der Fassung von 1928 im Goldenen Saal des Musikvereins Wien erleben.
In ihrer Interpretation spornt die US-amerikanische Dirigentin Karina Canellakis, der diese Saison vom Wiener Musikverein ein Schwerpunkt gewidmet wird, das ORF Radio-Symphonieorchester Wien zu wahren Höhenflügen an. Betont wird bei den archaischen Lobpreisungen und operndramatischen bis intimen Bittgesängen des modernen Menschen das Schroffe aber auch das kosmisch Unerbittliche und Lyrische in der so fragilen Begegnung mit dem Schöpfer.
Nicht unwesentlich zum Erfolg trugen auch ein exquisites Solistenquartett bei mit Kateřina Kněžíková (Sopran), Lena Belkina (Alt), Aleš Briscein (Tenor) und Jan Martiník (Bass) und natürlich auch der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Einstudierung: Johannes Prinz) und der hochvirtuose, erst 22-jährige Organist Daniel Freistetter bei.
Davor: Béla Bartóks frühes, kontrastreiches Werk „Vier Orchesterstücke“, wobei die sehnsuchtsvollen Stimmungen aber auch die wilde Motorik und die hämmernden Rhythmen voll zur Geltung kamen. Und die symphonische Dichtung „Holoubek“ („Die Waldtaube") von Antonín Dvořák, die wegen der ideal dargestellten musikalischen Symbolik und den reichen unterschiedlichen Emotionen gefiel. Ihr liegt eine Handlung zugrunde: Eine Frau hat ihren Gatten ermordet; sie lernt einen jungen Mann kennen und heiratet ihn. Die Stimme der Waldtaube, die die Seele des Ermordeten symbolisiert, lässt ihr jedoch keine Ruhe, so dass sie in Gewissensqualen ob ihrer Untat und in eine tiefe Verzweiflung gerät, aus der sie als einzigen Ausweg nur noch den selbst herbeigeführten Tod sieht. Es war übrigens Leoš Janáček, der es sich nicht nehmen ließ, die Uraufführung der „Waldtaube“ zu leiten.
Großer Jubel!
Dr. Helmut Christian Mayer
23. Oktober 2023 | Drucken
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