Mussorgskis Boris Godunow an der Wiener Volksoper: Ein fesselndes Volksdrama

Xl_boris_godunow-wien-volksoper-barbara_p_lffy-1-22-1 © Barbara Pálffy

Eigentlich hätte die Premiere von Modest Mussorgskis "Boris Godunow" an der Wiener Volksoper in der Inszenierung von Starregisseur Peter Konwitschny schon im Mai 2020 stattfinden sollen. Aber die Pandemie machte, wie so oft in letzter Zeit, wieder einmal einen Strich durch die Rechnung. Jetzt im Jänner 2022 sollte sie nachgeholt werden. Aber wieder funkte Corona dazwischen und man entschied sich speziell wegen der umfangreichen Massenszenen und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr seitens der Volksoperndirektion für eine konzertante, pausenlose Version des Volksdramas nach Alexander Puschkin. Gespielt wird die sogenannte Urfassung von 1869, bei welcher leider der musikalisch wunderbare und beim Publikum so beliebte „Polenakt“ und das Revolutionsbild fehlen. Zudem erklingt die Oper in einer eigens für das Haus vom Dirigenten eingerichteten Kompaktfassung mit noch einigen weiteren Kürzungen, wie etwa der großen Wahnsinnszene, auf knapp zwei Stunden.

Was bei dieser Produktion aber in erster Linie fesselt, ist das erstaunliche hohe Niveau der Sänger, fast ohne Schwachstellen und mit meist hoher Textverständlichkeit. (Gesungen wird auf Deutsch in der Fassung von Werner Hintze): Albert Pesendorfer ist ein ausdrucksstarker Titelheld. Mit ihm wird ein Zar aufgeboten, der seine Zerrissenheit und seine Gewissenbisse glaubhaft zeigt und zudem den Titelhelden mit mächtigem aber auch emotionsreichen, weichen Bass intensiv und präsent zu singen versteht. Besonders berührt er in seiner Todesszene. Yasushi Hirano als Chronist und Eremit Pimen verfügt über einen prachtvollen, kraftvollen und edlen Bass und kann so wie der Titelheld die Zuschauer in den Bann ziehen. Carsten Süss ist der Intrigant Fürst Schuiski mit einem feinen Charaktertenor. Vincent Schirrmacher als Grigori, der falscher Dimitri, singt die stark reduzierte Rolle mit hellem, höhensicherem Tenor. Marco Di Sapia ist ein ausdruckstarker Warlaam. Martina Mikelic macht als Schenkwirtin eine gute Figur. Auch die vielen, kleineren Rollen gefallen. Ghazal Kazemi ist eine idealer Fjodor, Boris Sohn. Elisabeth Schwarz ist Boris Tochter Xenia und singt sie mit leichtem Sopran. Morten Frank Larsen ist ein vibratoreicher Geheimschreiber Schtschelkalow. Karl-Michael Ebner fungiert solide als entlaufener Bettelmönch Missail. Stimmgewaltig, eindrucksvoll und homogen singt der riesige Chor der Wiener Volksoper (Einstudierung: Holger Kristen),

Am Pult des ausgezeichnet aufspielenden Orchesters der Wiener Volksoper steht Jac van Steen: Sängerfreundlich und eindrucksvoll führt er souverän durch das Werk. Mit ausgereizter Dynamik kann er enorme mystische Spannungen aufzubauen und die gewünschte Schroffheit der Originalpartitur (ohne der geschönten Bearbeitung von Nikolai Rimski Korsakow) exzellent rüberzubringen.

Das Publikum im nur schwach besetzten Auditorium, was zweifellos der Pandemie geschuldet ist und was man derzeit an vielen Opernhäusern wahrnimmt, reagierte mit starkem Applaus und Jubel!

Dr. Helmut Christian Mayer

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