Wie zu Beginn, wenn sich Klein-Ödipus als Riesenbaby nackt am Boden räkelt, verwandelt sich zum Finale der sterbende, nackte König zurück in ein strampelndes Kind und legt sich in Embryo-Stellung auf den Boden, während die Bühne und die Arkaden der Felsenreitschule mit friedvollen Regenbogenfarben überzogen werden: Der Kreis hat sich geschlossen und der Schuldlose hat als dem Schicksal unterworfener Spielball der Götter seine Schuld getilgt. Ein Neuanfang ist möglich.
Die starke „Farbigkeit der Musik“ in Licht übersetzen, war das Ziel von Achim Freyer und das ist dem 85-jährigen deutschen Regisseur und Maler, (auch für Licht und Ausstattung verantwortlich), bei George Enescus „Oedipe“ bei den Salzburger Festspielen ganz trefflich gelungen: Man ist schwer beeindruckt von der bunten Bildmächtigkeit seiner Ideen. Die schräge Bühne ist übersät von hingekritzelten, symbolhaften, sich bewegenden Zeichnungen, wie Sternzeichen aber auch einem Totenkopf. Immer wieder gibt es Feuer- und Wasserprojektionen. Manche Figuren, wie der Oberpriester, erscheinen nur in den ausgeleuchteten Arkaden. Sonst schreiten die Protagonisten in aufwändigen, märchenartigen Fantasiekostümen langsam quer über die Bühne, ohne miteinander zu interagieren. Aus dem Vollem wird bei der Sphinx-Szene geschöpft: Neben einem bedrohlichen über der Bühne schwebenden, leuchtenden Schlangenkopf, hängt ein verstümmeltes Kind am Faden des Todes, ein riesiges Insekt (die Plagen von Theben symbolisierend) und eine sich bewegende Schere tauchen auf, die Sphinx selbst schlüpft mit Riesenbrüsten aus einem Kokon.
Mag vielleicht manches etwas zu plakativ wirken, so ist man von der archaischen Bilderflut und den bis zum Schluss nicht abreißenden Ideen doch gefesselt. Freyer schafft wieder ein Gesamtkunstwerk abseits des Zeitgeists, zwischen surrealem Traum und Wachheit und beschreibt einen Weg von der Dunkelheit zum Licht. Der Zauber seines Theaters besteht in seiner Eigenart.
Man erlebt aber nicht ein nur Spektakel für die Augen, sondern auch eines für die Ohren und kann nicht verstehen, warum dieses Meisterwerk so selten am Spielplan steht. (An der Wiener Staatsoper war es Ende der 90er Jahre gekürzt zu erleben). Denn George Enescus einzige Oper (UA 1936 in Paris) ist eine Zeitreise durch mehr als ein halbes Jahrhundert Musikgeschichte mit einem grandiosen, musikalischen Kosmos.
Ingo Metzmacher ist der richtige Sachwalter für dieses, ohne Striche aufgeführte, diffizil zu spielende Werk. Und die groß besetzten Wiener Philharmoniker wissen unter seiner souveränen Leitung die kolossalen, spätromantischen, impressionistischen Klänge mit teils abgründiger Schönheit, die etappenweise ins Licht führt, schillernd, funkelnd, fassetten-, farbenreich und immer durchhörbar umzusetzen.
Christopher Maltman in der Titelrolle, ausgestattet wie ein Boxer mit der Figur eines Bodybuilders (er muss von Anfang an um sein Leben kämpfen) dann nach seiner Selbstblendung mit Blutfäden aus seinen Augenhöhlen, leistet Grandioses. Er schafft mit ungemeiner Bühnenpräsenz, unerschöpflicher Energie, reich an Nuancen und Emotionen die extrem fordernde Hauptpartie exzellent.
Mit etwas reifem, aber stimmmächtigen Timbre singt John Tomlinson den blinden Seher Teresias, hager, überdimensional groß mit Augenbinde, einem Mantel mit Blindenpunkten und von einem Kind geführt. Anaïk Morel, wie eine Blume ausstaffiert, singt die Iokaste mit viel Tremolo. Eve-Maud Hubeaux als Sphinx kann dem notwendigen beachtlichem, stimmlichem Einsatz, bei dem sie lachend sterben muss, nicht ganz gerecht werden. Mit mächtigem Bariton singt Brian Mulligan den Kréon. David Steffens (Hohenpriester) gefällt ebenso wie Tilmann Rönnebeck (Wächter) und Gordon Bintner (Phorbas). Packend in schwindelnder Höhe singt Vincent Ordonneau (Hirte). Als zarte Lichtgestalt erscheint Chiara Skerath (Antigone). Tadellos:der Chor der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.
Großer Jubel und ein paar ganz wenige, schüchterne Buhs!
Dr. Helmut Christian Mayer
12. August 2019 | Drucken
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