Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ als Opernfilm aus 1970 – ein bedeutendes Dokument von Walter Felsenstein

Xl_hoffmanns-felsenstein-1-21 © Arthaus Musik - Maria Steinfeldt

Er war einer der ganz großen kreativen Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts: Walter Felsenstein (1901 – 1975). Er war nicht nur Begründer (1947) und langjähriger Intendant der Komischen Oper Berlin (bis zu seinem Tode), sondern für die Wiederbelebung der Oper als theatralische Kunstform von großer Bedeutung und eigentlich Begründer des Regietheaters in der Oper. Der gebürtige Wiener Walter Felsenstein setzte sich für Gleichberechtigung von Musik und Text ein, schuf den Begriff realistisches Musiktheater und legte großen Wert auf perfekte Darstellung. Seine über 190 Inszenierungen galten als beispielhaft und begeisterten das Publikum weltweit.

Die Opéra fantastique Les Contes d'Hoffmann von Jacques Offenbach beschäftigte wegen ihrer unvollendeten Form immer schon die Fantasie der Theatermacher so auch Felsenstein. Die Quellenlage war jedoch recht dürftig. Deshalb besorgte er sich aus der Pariser Bibliothèque Nationale Kopien des Klavierauszuges von der Uraufführung, sowie das Libretto von Jules Barbier und jenes des gleichnamigen Schauspiels von Jules Barbier und Michel Carré. Daraus entwickelte er seine eigene deutsche fünfaktige Fassung, keine durchkomponierte Oper, sondern eine Abfolge von gesprochenem Wort, Musik und Gesang, deren Uraufführung 1958 an der Komischen Oper Berlin stattfand. In dieser Fassung wurden die später nachkomponierten Rezitative völlig eliminiert zugunsten eigens verwendeter Texte auf Deutsch aus dem Schauspiel, die manchmal etwas hölzern klingen. Denn Felsenstein bekannte sich zum Grundsatz, dass alle Aufführungen an der Komischen Oper Berlin in deutscher Sprache erfolgen sollten: „Ich möchte ein Werk als Theaterstück verständlich machen“: so sein Credo.

Die Aktfolge des Schauspiels nahm er als Grundlage für seine Inszenierung und fügt den bei der Uraufführung gestrichenen Giulietta-Akt an die dritte Stelle der Erzählungen ein. Die Bühneninszenierung und der Film haben unterschiedliche Schlüsse. Während die Bühneninszenierung mit der 4. Strophe des „Klein-Zack“-Liedes schließt, beendet die Muse hingegen den Film, indem sie Hoffmann an seine wahre Berufung erinnert.

Die Premiere dieser Inszenierung fand am 25. Januar 1958 an der Komischen Oper Berlin statt und wurde dort bis zur Beendigung der Dreharbeiten bereits 175 Mal gezeigt. Das Orchester der Komischen Oper Berlin stand unter der Leitung von Karl-Fritz Voigtmann. Die traditionellen Kostüme passend zur Zeit kreierte Helga Scherff das Bühnenbild schuf Reinhard Zimmermann, in Anlehnung an die Bühnenausstattung von Rudolf Heinrich. Und so sieht man total naturalistisch zuerst das Operntheater, dann Lutters Weinkeller sowie die recht opulente immer sehr ästhetische Szenerie der drei Akte: die Experimentstudios des Spalanzani inklusive Festsaal, das Musikzimmer von Antonia und das Innere eines wunderbaren venezianischen Palazzo, zu dem zuvor Gäste mit Gondeln zufahren.

Die Aufzeichnung der Oper erfolgte als Farbfilm 1970 in den DEFA-Studios in Potsdam-Babelsberg. Im Kino wurde der Film das erste Mal am 11. Dezember in einer festlichen Voraufführung im Berliner Kino International  gezeigt. Die Erstsendung im Fernsehen erfolgte im Dezember 1970 im 2. Programm des Deutschen Fernsehfunks.

Jetzt ist von diesem Opernfilm eine brandneue remasterte Fassung aus dem Jahr 2020 als DVD und Blu-Ray Disc bei Arthaus Nr. 109435 erhältlich. Es ist zweifellos ein wertvolles Dokument, das das Wirken von Walter Felsenstein zeigt, geprägt von Ideenreichtum, präziser und ausgefeilter Personenführung, auch bei den Massenszenen und alles mit Ausschöpfung der damaligen Möglichkeiten der Kameraführung und des Tones.So ist etwa die Gesellschaft im ersten Akt bewusst total überzogen gezeichnet: Das künstliche Entzücken der aufgetakelten alten Damen und der senil wirkenden Männer ist herrlich, wenn die farblose Puppe Olympia sich immer wieder mechanisch verbeugt.

Die meisten seiner Produktionen erarbeitete Felsenstein mit dem Ensemble der Komischen Oper. Nur selten engagierte er Weltstars. So auch hier, allerdings gehören die Protagonisten nicht zur sängerischen Spitzenklasse. Sie spielen teils besser als sie singen. Hanns Nocker ist ein körperlich etwas voluminöser Hoffmann, der für die Partie für heutige Ohren fast zu lyrisch singt. Wie auch in vielen anderen Produktionen werden auch bei Felsenstein die Figuren aus Hoffmanns drei Erzählungen als Traumbilder gesehen und daher werden Stella, Olympia, Antonia und Giulietta von nur einer Sängerin, der gut singenden Melitta Muszely dargestellt. Ihre schauspielerische Darstellung der Puppe wie auch ihre Koloraturen sind vorzüglich. Coppelius, Dr. Mirakel, Dapertutto, Lindorf ist der ungemein dämonisch singende und spielende Rudolf Asmus. Er ist auch der Star der Aufführung und ein toller Verwandlungskünstler. Werner Enders ist Andreas, Cochenille, Franz und Pitichinaccio. Spalanzani wird hier von Vladimir Bauer zerstreut, fanatisch und vertrottelt dargestellt. Karl-Fritz Voigtmann am Pult des Orchesters der Komischen Oper Berlin könnte etwas mehr Spannung und Schwung  einbringen.

Dieser Film wurde hervorragend restauriert und ist nun in 4K-Qualität mit erstaunlicher Bildschärfe und Farbqualität zu erleben.Überraschend ist auch der akzeptable Ton, das Stück ist ja immer hin 40 Jahre alt.

Dr. Helmut Christian Mayer

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