Es gibt kaum ein anderes Stück des Musiktheaters, das so stark mit dem Erfolg der Komischen Oper Berlin verknüpft ist, wie Jacques Offenbachs „Ritter Blaubart“. Walter Felsenstein (1901 – 1975), Gründer (1947) und bis zu seinem Tode langjähriger Intendant und Chefregisseur dieses Berliner Opernhauses, das durch ihn weltweite Anerkennung erlangte, inszenierte die Operette 1963. Diese Produktion erlebte sodann 360 Reprisen. Auch viel beachtet, wenn auch nicht so erfolgreich, wurde zwei Jahre später Felsenstein Remake im Opernhaus Frankfurt aufgeführt.
Felsenstein gilt als Begründer des zeitgemäßen Regietheaters in der Oper und sein Haus wurde damit die Geburtsstätte des modernen Musiktheaters. Er setzte sich für die Gleichberechtigung von Musik und Text ein und legte großen Wert auf perfekte Darstellung. Seine über 190 Inszenierungen galten als beispielhaft und begeisterten das Publikum weltweit. Nach 163 erfolgreichen Aufführungen entschied sich der gebürtige Wiener „Ritter Blaubart“ schließlich zu verfilmen. Produziert 1973 in den DEFA Studios Potsdam-Babelsberg, wurde der Film im Jahre 2020 brandneu remastered in bester 4k Qualität und jetzt bei Arthaus Musik als DVD und Blu-ray Disc Nr. 109437 herausgebracht. Erstaunlich, was heutzutage alles technisch machbar ist. Die adaptierten Dialoge und Gesangsstücke, die Felsenstein gemeinsam mit Horst Seeger verfasste, hört man auf Deutsch, denn Felsensteins Credo war, dass alle Aufführungen an der Komischen Oper Berlin für das Publikum verständlich sein sollten. Es war übrigens Felsensteins letzte Produktion an der Komischen Oper Berlin, bei der die Originalpartitur von Offenbach verwendet wurde.
Aus der ursprünglich grausamen Story des frauenmordenden Ritters haben Jacques Offenbach und das Autorenduo Meilhac - Halévy mit „Barbe-Bleue“ eine Opéra-bouffe (UA 1866) gemacht, in der virtuos zwischen lieblichen, grotesken und erotischen Szenen jongliert wird. Es wurde eine beißende Satire über den notorischen Frauenverführer, in der den Machthabern der Spiegel vorgehalten wurde. Felsensteins Version dieser satirischen Operá bouffe ist geprägt von politischen Anspielungen, kessen Witzen und Situationskomik. Auf der Bühne (Bühnenbild: Paul Lehmann, in Anlehnung an die Bühnenausstattung von Wilfried Werz) sieht man eine naturalistische Szenerie mit einer Schäferhütte, dann mit einem Thronsaal inklusive einer karikierenden Ahnengalerie. Schließlich ein Kellergewölbe mit den Gerätschaften und der Giftküche des Alchimisten Popolani sowie den Grabsteinen der verstorbenen Frauen von Blaubart, die allerdings anders als in der Vorlage nicht vergiftet wurden, sondern alle von Popolani verschont, hinter diesen Steinen in Räumen leben. Die Kostüme von Helga Scherff wirken wie Karikaturen, sie sind offenbar bewusst alle völlig überzogen und teils regelrecht grell. Und bei aller Bewunderung: Vieles an Felsensteins hyperagilen Bewegungen und seiner Vitalität, die teils weit aufgerissenen Augen und großen, überzogen outrierenden Gesten wirken wie aus einer sehr vergangenen Zeit. Trotzdem anerkennt man die vielen Ideen, die Lebendigkeit und den Witz der Aufführung.
Auch so manche sängerischen Defizite der Felsenstein-Protagonisten lassen sich einfach nicht überhören. Aber spaß- und spielfreudig erweist sich das gesamte, Ensemble: Anny Schlemm ist eine hellstimmige, resche Boulotte. Hans Nocker singt den Titelhelden mit schön geführtem, lyrischen Tenor. Komisch aber mit Gestik, Sprache und Gesang teils zu outrierend erlebt man Werner Enders als König Bobèche. Ingrid Czerny ist eine leichtstimmige Fleurette/Hermia, Manfred Hopp ein passabler Prinz Saphir. Rudolf Asmus ist ein sympathischer Alchemist Popolani. Etwas blass: Helmut Polze als Graf Oscar und Ruth Schob-Lipka als Clémentine. Spielfreudig agiert und souverän singt der Chor der Komischen Oper Berlin.
Karl-Fritz Voigtmann kann aus dem Orchester der Komischen Oper Berlin eine enorme Portion Spritzigkeit, Witz, zugespitzte Akzente sowie eine reiche, dynamische Palette herausholen.
Fazit: Ein unverzichtbares, historisches Dokument.
Dr. Helmut Christian Mayer
17. April 2021 | Drucken
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